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Faszinierende Ermittlerin

Sarah Bailes: "Dark Lake"

Von Anne Spitzner

 

 

„Sie war so schön. Jetzt ist sie tot“ heißt es auf dem Cover von Sarah Baileys Debütroman „Dark Lake“. Der Thriller spielt in einer australischen Kleinstadt zur Zeit der größten Sommerhitze kurz vor Weihnachten.

„Sie“, das ist die Highschool-Lehrerin Rosalind Ryan, die ermordet im Sonny Lake aufgefunden wird. Die Aufklärung des Falles übernehmen Detective Gemma Woodstock und ihr Partner Felix McKinnon. Für Gemma wird es eine Reise in die Vergangenheit: Sie und die Ermordete besuchten die gleiche Klassenstufe, und aus verschiedenen Gründen denkt Gemma nicht allzu gern an diese Zeit zurück. Warum, das entrollt sich vor dem Leser erst nach und nach, wie ein Teppich mit kompliziertem Webmuster.

Sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart gibt Rosalind einige Rätsel auf, bleibt unnahbar, unfassbar. Alle, mit denen die Ermittler sprechen, behaupten, Rosalind sei beliebt gewesen, aber anscheinend hat sie weder ihre Familie noch haben sie ihre Kollegen oder Schüler richtig gekannt. Erst nach und nach erfahren die Ermittler mehr, und gleichzeitig enthüllt sich auch das, was in Gemmas und Rosalinds gemeinsamer Vergangenheit geschehen ist und ihre Schicksale untrennbar miteinander verbindet.

Ich habe dieses Buch angefangen und konnte es nicht mehr weglegen. Das lag nicht unbedingt an der Geschichte – Ermittler mit dunkler Vergangenheit gibt es schließlich wie Sand am Meer, und auch an Menschen, die wegen etwas in ihrer Vergangenheit in der Gegenwart umgebracht werden, herrscht kein Mangel. Nein, das, was mich Seite um Seite umblättern ließ, waren der Ausdruck und die Protagonistin. Sarah Bailey lässt mit Gemma Woodstock eine Ermittlerin auf die Leser los, wie ich sie in dieser Tiefe angelegt selten genug gefunden habe. Und sie tut dies mit einer Sprachgewalt, die den Atem raubt. So ist man fest im Kopf von Gemma Woodstock, auch wenn man sie objektiv betrachtet vielleicht nicht besonders sympathisch finden würde: Sie hat eine Affäre, vernachlässigt ihren kleinen Sohn, trinkt und arbeitet zu viel. Und trotzdem bringt man es einfach nicht fertig, die nötige Distanz herzustellen, um das objektiv zu bewerten. Gemma Woodstock saß bei mir tief, sie ließ mich nicht mehr los, ob ich nun las oder nicht.

Der Fall, in dem Bailey ihre Protagonistin ermitteln lässt, ist allerdings leider nicht ganz so fesselnd wie Gemma Woodstock selbst. Die Ermittlungen weisen einige Längen auf (auch, wenn das tatsächlicher Polizeiarbeit näher kommt, so erwarte ich doch anderes von einem Buch, auf dessen Umschlag das Wort „Thriller“ steht). Es dauert mehrere hundert Seiten, bevor das erste wirklich Bedrohliche passiert (abgesehen von dem Mord natürlich, der aber vor Beginn der Handlung stattfand), und davor baut sich auch keineswegs eine subtile Spannung auf. Die Andeutungen dessen, was vor zehn Jahren geschehen ist, sind zwar zu Beginn schier unerträglich in ihrer Unbestimmtheit, jedoch beginnen sie sich leider bald zu wiederholen. Wahrscheinlich sollen die Flashbacks so wenig wie möglich enthüllen, damit es spannend bleibt; dennoch kann man schon recht früh zumindest vermuten, was passierte, und dann ziehen die Wiederholungen alles eher unnötig in die Länge.

Kurz vor Schluss wird es dann nochmal „thrilleresk“, aber nicht mehr so richtig; die falschen Fährten waren zu offensichtlich, und bei einer Ich-Erzählerin ist sowieso klar, dass sie nicht stirbt. Und irgendwie ist dann alles plötzlich zu gut, um zum Rest des doch eher düsteren Thrillers zu passen (ein Beispiel: Das ganze Buch hindurch feindet Woodstock eine Reporterin an, mit der sie sich zum Schluss dann plötzlich anfreundet). Zuvor hat sie es geschafft, das Buch im hitzegeplagten australischen Sommer düster zu gestalten; dieses Ende ist wie ein fröhlicher, aber eben unpassender Missklang im Imperial March.

Ein zweiter Fall für Gemma Woodstock sei in Vorbereitung, wird auf dem Einband angekündigt. Ich weiß nicht, ob ich mich darauf freuen oder Angst haben soll, enttäuscht zu werden – am Ende von „Dark Lake“ ist sie so sehr darauf erpicht, ihr kaputtes Leben in den Griff zu kriegen, dass es ihr womöglich gelingt. Ich bin gespannt darauf, in welche Richtung sich diese faszinierende Ermittlerin entwickeln wird.

Mein Fazit zu diesem Buch lautet also: Der Plot ist etwas dünn, die Spannung etwas schwach auf der Brust, doch die überwältigende Sprache und die unter die Haut gehende Protagonistin machen das mehr als wett.

 

 

Sarah Bailey:

Dark Lake

C. Bertelsmann Verlag 2018

512 Seiten, 15 Euro

ISBN 9783570103562

 

 

Hoch

 

 

 

 

Innensicht

Susanne Kliem: „Lügenmeer“

Von Anne Spitzner

 

Neunzehn Jahre ist es her, dass Magnus Berg seinen Heimatort verlassen hat. Neunzehn Jahre, in denen er versucht hat, zu vergessen, was passiert ist. Ein Unfall – oder ein Mord, je nachdem, wem man Glauben schenkt. Doch jetzt kehrt Magnus zurück, um den wahren Geschehnissen auf den Grund zu gehen.

Das ist die Ausgangssituation in Susanne Kliems Roman „Lügenmeer“. Erzählt wird die Geschichte abwechselnd aus den verschiedenen Perspektiven derjenigen Protagonisten, die an dem Ereignis vor neunzehn Jahren beteiligt waren, und je länger man liest, desto mehr kommt ans Licht. Zu Anfang weiß der Leser nicht mehr als das: Magnus‘ damalige Freundin Milla kam ums Leben, und Magnus wurde des Mordes angeklagt, aber freigesprochen. Danach ist er weggegangen und hat alles zurückgelassen, auch seine und Millas gemeinsame beste Freundin Svenja.

Während sich die Geschichte nach und nach vor dem Leser entfaltet, erfährt man sowohl mehr über die erwachsenen Protagonisten als auch über ihr jugendliches Selbst. Die Wochen vor Millas Tod, die Liebesgeschichte zwischen Magnus und ihr wird erzählt; parallel dazu entwickeln sich zwischen dem heutigen Magnus, der rasch an alte Kontakte anknüpft, und Annik, die damals ein eher loser Bestandteil der Clique war, erste zarte Bande. Und zwischen beiden Liebespaaren steht – damals wie heute – Svenja, die irgendwie ein Teil davon ist.

Die ganze Zeit über schwebt etwas latent Bedrohliches über der gesamten Szenerie, ohne dass richtig klar wird, was eigentlich los ist. Obwohl man einiges von der Lösung aller Rätsel ahnt, obwohl einiges ganz klar auf der Hand zu liegen scheint, gelingt es Susanne Kliem dennoch, zwei, drei unerwartete Twists in der Handlung unterzubringen. Auch, wenn es keinen Showdown, kein großes Finale gibt, ist „Lügenmeer“ richtig spannend, psychologisch sehr fundiert geschrieben, und die Figuren sind tiefgründig angelegt. Durch den Wechsel der Erzählperspektive erfährt man etwas von der Innensicht aller Beteiligten, und es gilt wie so oft im Leben, dass nur die Perspektive über Gut und Böse einer Handlung bestimmt.

Mir persönlich gefällt dieses Buch besser als die anderen, die ich von Susanne Kliem bislang gelesen habe („Die Beschützerin“ und „Das Scherbenhaus“) – und die fand ich schon ziemlich gut. An „Lügenmeer“ stimmt eigentlich alles; man kann es kaum aus der Hand legen, die Handlung ist von vorn bis hinten stimmig, ohne irgendwelche, leider ja viel zu oft vorkommenden Drehungen in letzter Sekunde, damit es am Ende doch passt, und sogar die Liebesgeschichte kommt ganz normal, sogar fast banal daher, es funkt einfach zwischen zwei Menschen. Sprachlich ist es gut lesbar, ohne zu platt zu werden, und das Ende überrascht womöglich sogar ein paar alte Krimi-Hasen. Ein weiterer Bonus ist, dass es kein Teil einer Reihe ist, sondern „einfach nur so“ gelesen werden kann. Also: Ganz klare Leseempfehlung!

 

Susanne Kliem:

„Lügenmeer“

C.Bertelsmann 2019

320 Seiten, Euro 15.-

ISBN: 978-3-570-10353-1

 

 

Hoch

 

 

Die Neugier ist geweckt

Kirk Wallace Johnson: "Der Federndieb"

Von Anne Spitzner

 

Neulich schrieb ich in meiner Rezension zu „Werners Nomenklatur der Farben“, dass ich als Biologin schon mal per se alles interessant finde, was mit Charles Darwin zu tun hat. Genauso geht es mir mit Alfred Russell Wallace, Darwins „Bruder im Geiste“, dem Mann, der seine Theorie über die Entstehung der Arten gemeinsam mit Darwin veröffentlichte, dessen Rolle dabei vielen Menschen aber ganz unbekannt ist. Wallace war ein Naturforscher, der auf seinen Expeditionen zahlreiche Exemplare exotischer Tiere für Museen und seine eigene wissenschaftliche Arbeit sammelte (und dem dabei genau wie Darwin auffiel, dass hinter der Vielfalt der Arten mehr stecken musste, als die Kirche predigte). Ein Teil der von Wallace gesammelten Exemplare lagert heute im Britischen Museum für Naturkunde, und hier kommen wir nun zum nächsten Buch, das ich gelesen habe, weil es „irgendwie“ im Dunstkreis von Darwin, Wallace und der von beiden erstmals aufgestellten Evolutionstheorie liegt.

 

Im Juni 2009 fand ein Einbruch in die Ornithologische Abteilung des Britischen Naturkundemuseums statt. Der Dieb entwendete fast 300 Vogelbälge aus den Magazinen, von denen einige von Alfred Russell Wallace gesammelt worden waren. Kirk Wallace Johnson, Publizist und Aktivist aus den USA, erfährt beim Fliegenfischen von diesem Einbruch – und von dem dahintersteckenden Motiv: Die Vogelbälge gehören zu vom Aussterben bedrohten Arten, deren Federn allerdings dazu benötigt werden, Lachsfliegen nach historischen Vorlagen zu binden. Johnsons Neugierde ist geweckt, und er macht sich auf die Suche nach den Vogelbälgen.

Das Buch „Der Federndieb“ trägt den Untertitel „Ein passionierter Fliegenfischer kommt dem größten Museumsraub der Naturgeschichte auf die Spur“, und der Klappentext wirft u.a. die folgende Frage auf: „Wird es ihm gelingen, den Federndieb zu finden und ihn zur Rückgabe des Diebesguts zu bewegen?“

 

Möglicherweise sind es diese beiden Sätze auf dem Klappentext, die mir das Buch ein wenig verleidet haben. Denn ich habe daraus den Eindruck gewonnen, dass es sich bei dem Diebstahl, um den es hier geht, um einen UNAUFGEKLÄRTEN handelt. Jedoch erfuhr ich dann gleich im ersten Kapitel, dass der Dieb bereits bekannt und verurteilt und ein Teil der Beute sichergestellt ist – wenn auch für die Wissenschaft trotzdem nahezu unwiederbringlich verloren, da die Etiketten mit den Informationen des Sammlers entfernt wurden. Gut, dachte ich beim Weiterlesen, möglicherweise ist es Johnson ja gelungen, den Großteil der gestohlenen Vögel aufzutreiben, den die Ermittler nicht finden konnten?

Um die Geschichte aufzurollen, fängt Johnson ganz vorn an: Nachdem er von seinem eigenen „Einstieg“ berichtet hat, nimmt er seine Leser mit auf eine Zeitreise in das „goldene Zeitalter der Naturforscher“, als die Landkarte noch jede Menge weißer Flecken aufwies und eine erfolgreiche Expedition einen Mann zum berühmten Naturforscher machen konnte. Er berichtet von Alfred Russell Wallaces Weg zur Position eines ebensolchen. Anschließend beschreibt er die Entstehungsgeschichte jenes Museumskomplexes, aus dem die Federn gestohlen wurden, und das „Federnfieber“, das im ausgehenden 19. Jahrhundert die Modewelt im Griff hielt und dafür sorgte, dass Damenhüte oft nicht nur von Federn, sondern von ganzen Vogelbälgen geziert wurden. Auch, wenn die aufkommende Tier- und Naturschutzbewegung dieser Mode ein Ende setzen konnte, so gab es noch einen weiteren Markt für exotische Vogelfedern: Lachsfliegen. Unter den Fliegenbindern gibt es einige, die Wert darauf legen, ihre Lachsfliegen originalgetreu nach historischen Vorlagen zu binden – und die müssen dann eben auch Federn ganz bestimmter Vögel enthalten, egal, ob die nun unter Artenschutz stehen oder sogar in freier Wildbahn ausgestorben sind.

 

Als nächstes beschreibt Johnson den Weg eines jungen Mannes namens Edwin Rist, der – das weiß man zu diesem Zeitpunkt bereits aus dem Prolog – im Juni 2009 ins Britische Naturkundemuseum einsteigen wird, um dort 299 Vogelbälge zu stehlen. Rist wird mehr zufällig auf das Fliegenbinden aufmerksam, und aus dem Hobby wird bei ihm rasch eine Obsession. Obwohl er sich teure „echte“ Federn nicht leisten kann, wird er bald zur „Zukunft des Fliegenbindens“ erklärt. Und dann…

„Der Federndieb“ ist von der ersten bis zur letzten Seite fesselnd geschrieben. Es gelingt dem Autor, lebendige Bilder sowohl von der viktorianischen Epoche als auch dem Museumsraub aufsteigen zu lassen, und seine eigenen Recherchen lesen sich, durchsetzt von biographischen Einsprengseln, akkurat und mitreißend. Dennoch hat das Buch ein großes Manko, das mich wahrscheinlich gar nicht so sehr stören würde, wenn es nicht in so krassem Widerspruch zum Klappentext stehen würde: Zum Schluss gelingt es Johnson nämlich NICHT, das Diebesgut zurück zu erlangen oder etwas Wesentliches zur weiteren Aufklärung des Falles beizutragen. Ja, er findet mehrere von Rists Kontakten, die der Polizei entgangen sind, und spürt einige weitere Bälge oder zumindest weitere Federn auf, doch das war es auch schon. Demgegenüber stehen die bereits erwähnten Sätze auf dem Klappentext, die ganz anderes erwarten lassen.

Nichtsdestotrotz ist „Der Federndieb“ ein spannendes Buch, das den Leser wie ein Museum mit verschiedene Abteilungen in mehrere verschiedene Welten eintauchen lässt – die der Naturforscher, die der Vogelschutzaktivisten, die der Fliegenbinder, des Täters und der Ermittler. Und ganz sicher ist es ein verdienstvolles Plädoyer für Wissenschaft und Artenschutz – und unbedingt lesenswert!

 

 

Kirk Wallace Johnson:

"Der Federndieb"

Aus dem Englischen von Jochen Schwarzer

Droemer 2018

gebunden, 384 Seiten, Euro 22,99

ISBN 978-3426276846

 

Hoch

 

 

Wo die Fäden zusammenlaufen

Petra Ivanov:  „Hafturlaub“

Von Susan Müller

 

Jasmin hat als ehemalige Polizistin selbst mit einem dramatischen Ereignis und dessen Verarbeitung zu tun: Sie wurde entführt. Sie nimmt Privataufträge an, wenn auch ihr Freund Pal dies mit gemischten Gefühlen sieht. Er ist Strafverteidiger und setzt sich oft für die Belange der Gefangenen ein, wie Hafturlaub oder Freigänge. Eine Kollegin wendet sich an Jasmin, weil ihre Tochter Fanny bedroht wird. Viele Insassen, deren Gesuche abgelehnt wurden, kommen als Täter in Betracht. Jasmin landet schlussendlich bei einem Verdächtigen, der das Zeug zum Täter hätte.

Petra Ivanov, Profi im Schreibgeschäft, versteht es wieder einmal, die Geschehnisse miteinander in Einklang zu bringen und den Leser seine eigenen Schlüsse ziehen zu lassen. Bis zu den allerletzten Seiten ist nicht annähernd zu ahnen, bei wem die Fäden zusammenlaufen. Das Buch ist wie so viele aus dem Unionsverlag (dessen aktuelle Verlagsprogramme sich der am anspruchsvollen Kriminalroman Interessierte unbedingt immer mal anschauen sollte) kein einfacher Krimi, sondern ein aus dem Genre viel herausholendes, ansprechend geschriebenes Buch.

 

Die Rezension kann hier nicht dazu gereichen, die feinen Untertöne wiederzugeben, die nicht immer nur die Handlung voranzutreiben. Das Buch muss selbst gelesen werden - und wer erst eingetaucht ist, den lässt es bis zum Ende nicht los.

 

 

Petra Ivanov:

„Hafturlaub“

Unionsverlag 2016

336 Seiten, Euro 14,95

ISBN 978-3293207264

 

 

Hoch

 

 

Kraftvolle gedankliche Struktur

Helmut Birkhan: "Magie im Mittelalter"

Von Cay Meyer

 

Das Mittelalter gehört zu den bestverzerrten Epochen. Total verleumdet wurde es, sein Erbe verleugnet. Warum? Was hat es uns getan?

Gar nichts. Aber unser Lernrhythmus ist schulbestimmt, und da muss das Mittelalter in vermittelbare Schlagworte verpackt werden, denn es steht auf dem Lehrplan, während die Schüler in der Pubertät und nur die Streber ganz da sind. Und gegen den Lehrertrott ist nur schwerlich etwas auszurichten; jedes Jahr dasselbe und revolutionär Neues zu historischen Themen? Kaum in den Lehrplan zu kriegen.

Dann steht man als halbwegs Erwachsener da und stolpert über ein Mittelalter, das sich nicht ins Schema pressen lässt. Denn draußen im Leben hat das Mittelalter Konjunktur – in Deutschland gibt es jährlich Ausstellungen, die das Thema richtig gut anpacken. Es ist eine Suche nach deutschen Wurzeln, die zwar geographisch bis Frankreich und Italien reicht, aber dort doch kaum Interesse hervorruft. Die Burg- und Klosterruinen, die viel Phantasie verlangen, um sich das mittelalterliche Leben vorzustellen, sind dort zwar gut von (deutschen) Touristen besucht, aber spielen auf dem Denkmäler-Masterplan keine besondere Rolle. Die Deutschen sind da also auf sich verwiesen, und deswegen müssen sie mit Vorsicht ans Thema gehen. Der Grandseigneur der differenzierteren Mittelaltersicht, Horst Fuhrmann, hat da schon sehr viel vorgelegt („Einladung ins Mittelalter“ und „Überall ist Mittelalter“). Einem besonders klischeebehafteten Thema nimmt sich nun Helmut Birkhan, emeritierter Mediävist aus Wien, an: „Magie im Mittelalter“.

Aus diesem bereich strömt ja der ganze Ruch, der dem Mittelalter anhaftet. So muss der Autor erstmal für Bewegung sorgen, und das gelingt ihm über seine Einführung, eine Begriffsbestimmung von „Magie“. Da rückt uns das Weltbild der Zeit näher, wenn wir den Aberglauben, der bei uns alltäglich ist, inspizieren. Es ist die Annahme von Zusammenhängen, die man kausal nicht herstellen, schon gar nicht „normal“ begründen kann. Es gab dafür kulturelle Beweggründe wie der Glaube daran, dass Unbeseeltes beseelt sein kann, oder dass alles vorbestimmt sei. Dazu hatte das Mittelalter die Instrumente, um Magie wirkungsvoll umzusetzen, teilweise aus der Antike übernommen – man denke nur an den Glauben an Mondphasen. Birkhan bringt Ordnung in unsere Sicht auf dieses Thema, das bis heute gefährlich lebendig ist. Er unterscheidet zwischen der „Magie der Gelehrten“ und „Magie im Volksglauben“. Diese Differenzierung ist eine derart kraftvolle gedankliche Struktur, dass sich dem unbeleckten Leser das schwierige Thema schnell erschließt. Erst mit diesem Wissen kann man in den letzten Part des Buches eintauchen, der die grausamen Auswirkungen des unrationalen Irrglaubens erläutert. Auch da findet sich wenig von dem, was man sowieso schon weiß; an dem Autor –noch ein Wissenschaftler alter Universitätszeitenrechnung- sind die Jahre des Lehrens und Forschens nicht vorbeigegangen: Das Buch steckt, ohne je den Faden zu verlieren, voller spannender Details.

 

Helmut Birkhan:

"Magie im Mittelalter"

204 Seiten, Euro 12,95

Beck 2010

ISBN: 978-3406606328

 

Hoch

 

 

Sookie Stackhouse 8-copy Boxed Set:

Dead Until Dark / Living Dead in Dallas / Club Dead / Dead to the World / Dead as a Doornail / Definitlely Dead / ... Dead to Worse

(Sookie Stackhouse/True Blood)

Von Carolin Kotsch

 

Im ersten Teil der Reihe „Vorübergehend tot“ lernt man Bon Temps, eine verschlafene, amerikanische Kleinstadt kennen. Dort gibt es wenige Verbrechen und die Menschen haben ein ruhiges Leben.

Dieses ruhige Leben ist schlagartig vorbei als ein Vampir im Merlottes, der Bar am Rande Stadt und allabendlicher Treffpunkt der Einwohner, auftaucht. Eigentlich ist das nicht weiter ungewöhnlich, denn seit ein paar Jahren ist die Existenz von Vampiren allgemein bekannt und sie dürfen sich frei unter den Menschen bewegen. Im Gegenzug müssen sie sich an die Regeln einer zivilisierten Gesellschaft halten.

Im Merlottes arbeitet Sookie Stackhoues als Kellnerin. Sie wird von allen für ein wenig verrückt gehalten, denn sie kann Gedanken lesen, was sie selbst als Behinderung ansieht. Mit Hilfe dieser Behinderung kann sie aber Bill Compton, dem Vampir, das Leben bzw. die Existenz retten. Daraufhin verlieben sich die beiden ineinander und Sookie bekommt das erste Mal in ihren Leben die Bestätigung, die sie bei anderen nicht finden konnte. Denn Bill hat einen Vorteil: Sookie kann seine Gedanken nicht lesen und sich ihm so ganz hingeben.

Aber plötzlich häufen sich die Verbrechen und Morde in der Stadt. Es werden Frauen getötet, die Bissspuren von Vampiren tragen. Aber nicht nur Bill wird verdächtigt, sondern auch Sookies Bruder Jason, weil er ein Verhältnis mit zwei der toten Frauen hatte.

Sookie versucht nun mit den ihr zur Verfügung stehenden Mittel sowohl Bill als auch ihren Bruder zu entlasten. Dabei lernt sie mehr Vampire und mehr von deren Welt kennen, als ihr lieb ist.

Schließlich hat es der Mörder auch auf sie abgesehen und nur mit Mühe kann sie sich retten, muss aber zwei herbe Verluste hinnehmen.

Im zweiten Teil „Untot in Dallas“ muss sich Sookie nicht nur mit weiteren mythischen Wesen auseinandersetzen, sondern auch mit den Problemen ihrer ungleichen Beziehung und den Gesetzen der Vampire umzugehen lernen.

Als sie in Dallas den dort ansässigen Vampiren helfen soll, einen entführten Vampir aus deren Reihen zu finden, gerät sie abermals in Gefahr. Diese Gefahr geht aber mehr von fanatischen Menschen als von Vampiren aus. Und schließlich muss sie erkennen, dass es auch Vampire gibt, die mit ihrem Schicksal und ihrer Schuld hadern.

Zurück in Bon Temps muss sie an einer Orgie teilnehmen, um den Mord an ihren schwulen Kollegen Lafayette aufzuklären, indem sie in den Gedanken der Teilnehmer nach Hinweisen auf den Mörder sucht. Bill ist nicht in der Gegend, sodass ihr einziger und fragwürdiger Schutz der des Vampirs Eric ist. Eine alte Bekannte stößt zu dem Treffen und lässt es im Chaos enden.

Auch in den folgenden Bänden lernt Sookie viele Dinge kennen, von denen sie dachte, dass es sie nur in Märchen und Mythen gibt und muss dabei vielen Gefahren trotzen und um ihre Beziehung mit Bill kämpfen.

Die Bestsellerautorin Charlaine Harris bedient nicht das Schmuseimage von Vampiren wie etwa die Twilight-Saga. Sie setzt eher auf eine teilweise derbe Ausdrucksweise der Figuren, detailliert ausgeführte Gewaltszenen und mehr als nur sexuelle Anspielungen. Manchmal wäre es wesentlich angenehmer und interessanter, wenn einige Dinge ungesagt blieben und der Leser seine eigene Fantasie spielen lassen könne.

Sehr gut gelingt es dem Roman dagegen, völlig unterschiedliche Themen zu verknüpfen. Neben der Liebe werden auch politische Inhalte angesprochen und viele verschiedene moralische Schwierigkeiten dargestellt, sodass man die Romane nicht auf das Genre Fantasy reduzieren kann. Und auch das Fantastisch selbst wirkt nie klischeehaft oder steif. Außerdem erscheint Sookie, aus deren Sicht das Geschehen geschildert wird, als sehr belesene Person, weshalb man nebenbei noch einiges lernen kann.

Große Spannung wird vor allem dadurch erzeugt, dass sich der Leser teilweise leicht mit den Protagonisten identifizieren kann, teilweise aber auch stark von ihnen abgestoßen wird und so immer erneut Stellung beziehen muss.

Die Sprache ist in einem leichten, unbefangenen Ton gehalten, ohne dabei plump zu wirken.

Von 2004 bis 2010 sind bereits neun Bände der Sookie-Stackhouse-Reihe erschienen. In Amerika wurde eine Fernsehserie, die auf den Romanen basiert, produziert, von der in Deutschland bereits zwei Staffeln auf DVD erhältlich sind, was Fans ein langanhaltendes Vergnügen garantiert.

 

Sookie Stackhouse 8-copy Boxed Set:

Dead Until Dark / Living Dead in Dallas / Club Dead / Dead to the World / Dead as a Doornail / Definitlely Dead / ... Dead to Worse

(Sookie Stackhouse/True Blood)

Taschenbuch, 2500 Seiten, Euro 33,00

Ace, Englisch

ISBN: 978-0441018239

 

Hoch

 

 

Flucht aus der Einsamkeit - 3 kleine Versuche

Maria Stankowa: „Langeweile - 3 kleine Romane“

Von Iris Kersten

 

„Langeweile“, so der Titel, aber keine Sorge, genau das ist es nicht, was den Leser hier erwartet. Die Sprache der Bulgarin Maria Stangkowa ist gewaltig, bildhaft, eindringlich und schön, und dabei sind ihre kleinen Romane (die eigentlich eher als kurz zu bezeichnen sind, da es in der Tat große beziehungsweise großartige Romane sind) auch noch spannend.

Sehr unterschiedlich sind ihre drei Geschichten in Bezug auf das Genre (eine mythologische Erzählung über die Liebe, ein Kriminalroman und ein Gesellschaftsroman - wegen der mangelnden Gesellschaft wohl auch als Internetroman zu bezeichnen). Die Gemeinsamkeiten sind in der Thematik zu finden: die alltägliche Suche, der Einsamkeit des Lebens zu entrinnen.

In „Die schwarze Frau und der Bogenschütze“, dem ersten und mit 60 Seiten dem kürzesten der drei großen Romane, schildert Maria Stankowa wortgewaltig und mit psychologischem Feingefühl die Beziehung zwischen Mann und Frau. Stankowas Art zu erzählen hat hier etwas Mystisch- Mythologisches, das in dem Leser den Eindruck weckt, in einer (etwas anderen) Bibel zu lesen „Irgendwann vor langer Zeit, als der Mann Himmel war und das Weib Erde, […], da erschien die schwarze Frau. Sie gebar sich selbst.“ Selten wurde Liebe so schön beschrieben: „Ein Engelschor stimmte ein und die Lufttemperatur stieg um anderthalb Grad. Das war Liebe.“ Doch leider ist diese Liebe (scheint es) nur einseitig und als die schwarze Frau schon all ihre Träume verloren hat, trifft sie ihren ersten Liebhaber, den Aprikosenhändler (nicht den Schützen wie es auf dem Bucheinband heißt) wieder. Bei ihm findet sie ihr neues Glück. Für all die verlorenen, lieblosen Jahre der Vergangenheit sehnt sie sich nach Rache. Als nun der Bogenschütze zu erkennen gibt, dass er die schwarze Frau immer geliebt hat, (das, worauf sie ihr ganzes Leben gewartet hat) ist es zu spät. Sie verlässt beide Männer und trifft... „die Liebe – wieder einmal...“

Die Künstlerin versteht sich auf ihre Sprache (an dieser Stelle auch ein großes Lob an die Übersetzerin Barbara Beyer) und entwickelt einen unnachahmlichen Stil, in dem zum Beispiel die schwarze Frau abends die Sonne verschluckt haben muss, da sie morgens schwanger aufsteht, wonach die Abtreibung in folgende Worte gekleidet wird: „Sie aß das Kind auf. Nur der Geschmack blieb im Mund übrig […]. Etwas trauriges hatte sich zwischen ihren Zähnen verfangen.“ Großartig auch Stankowas Art, Gefühle zu personifizieren: „[…] sie blieb zurück, um sich Sorgen zu machen. Darauf hatten die Sorgen nur gewartet. Überall krochen sie herum.“ oder  „Die schwarze Frau stellte den Hass ins Fenster und goss die Blume.“ Stonkowas kurze und prägnante Sätze treffen den Leser wie ein Schlag und enthüllen somit das tiefste Innere ihrer Protagonisten.

Auch in dem zweiten Roman „Langeweile“ besticht die Autorin mit psychologischem Einfühlungs- und Reflexionsvermögen.  Die Titelgeschichte ist wohl einer der sprachlich anspruchsvollsten und poetischsten Krimis, die es je zu lesen gab. Maria Stankowa beschreibt hier die Leere der Tage einer Kriminaljournalistin, die zugleich die Ermordung einer alternden Frau mit aufgeschnittenem Hals recherchiert und einen Mord, der sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts ereignete –  wobei es sich die Toten währenddessen auf dem Sofa der Journalistin gemütlich machen. Letztendlich kommt sie zu dem Schluss, dass wohl jeder, und nicht nur der Mörder, dem Leben teilnahmslos und unbarmherzig gegenüber steht und vor allem, dass jeder Opfer seiner eigenen Illusion ist. Besonders sie selbst.

In „Das Netz“ führt uns die bulgarische Autorin in die virtuelle Welt derjenigen, die dort der Einsamkeit und ihren Problemen zu entkommen versuchen. Hierher kann jeder kommen, um der realen Welt zu entfliehen, hier kann jeder das sein, was er gerne möchte. Papier ist geduldig und der Computer auch. Manchmal schnauft das Netz zwar auf, aber davon bekommen Bestie, Suschen, LaBella, die Kleine und all die anderen Analphabeten, Hirnamputierten, die sich in Selbstmitleid ergehen und aufs Tragische stehen, hysterische Typen, Männer, Frauen, Geschlechtslose (so vermerkt das Netz die Identitäten) nichts mit. Im Netz finden sie Ablenkung von der Wirklichkeit. Hier haben sie Freunde, Spaß, Sex ohne Risiko und können ungeniert ihren Gefühlen und Sehnsüchten freien Ausdruck verleihen. Lassen sie sich dennoch verleiten, sich außerhalb des Netzes zu verabreden, so ist das Scheitern schon vorprogrammiert. Außer bei Zweien, die schaffen es. Sie loggen sich aus und entkommen dem Netz mit gepackten Koffern, auf dem Weg in ein neues Leben.

Alle drei Romane handeln von Einsamkeit, von der Sinnlosigkeit des Lebens, von dem Wunsch ihr etwas entgegensetzen zu können und der Suche nach dem Glück. Durch ihre poetische Sprache und ihren unverwechselbaren Stil ermöglicht die Drehbuch- und Romanautorin Maria Stankowa solch einen Einblick in die Psyche ihrer Protagonisten, dass bestimmt keine Langeweile aufkommen wird. Ein Meisterwerk!

 

Maria Stankowa: „Langeweile 3 kleine Romane“

edition Balkan, Dittrich Verlag 2010

321 Seiten, 16,80 Euro

ISBN: 978-3937717531

 

Hoch

 

 

Nach Twilight kommt nur noch die Nacht

Die "New World"-Bücher

Von Julia Heuser

 

Es wird dunkel in der Jugendbuchliteratur, um nicht zu sagen rabenschwarz. Und ich rede nicht von den Gestalten der Nacht, die einen in Rudeln in jeder Buchhandlung anspringen und die sich alle wie ein Stephanie Meyer-Remix anhören.

Nein, ich meine den richtig starken Stoff, den, der einem die Nackenhaare aufstellt, ganz ohne magische Gruselgestalten, der einen abends um kurz vor sechs aus der Haustür jagt, weil man den dritten Band jetzt JETZT noch haben muss. Der Stoff, der von dem Buchhändler des Vertrauens rüber geschoben wird, mit hochgezogener Augenbraue und den Worten „Haben Sie das schon gelesen?“.

Die Themen, die in diesen „neuen“ Jugendbüchern verhandelt werden, sind streng genommen alt: der Kampf ums Überleben, zwischen richtig und falsch, gut und böse. Es geht um Krieg, Revolution, Liebe, Rivalität, Gesellschaft und noch ein paar anderen von den ganz Großen. Was wieder neu klingt in unseren Ohren, ist die Unerbittlichkeit mit der die neuen Bücher ihre Protagonisten in die Schlacht werfen, die ums nackte Überleben geht. Und endlich auch wieder das Verlangen, zu zeigen, dass das Böse nicht in Form von glitzernden Vampiren und Werwölfen daherkommt, sondern dass das gefährlichste Monster immer noch in uns selber schlummert.

Eine Vertreterin, dieser neuen ja brutalen Jugendbüchern ist  Suzanne Collins mit ihrer „Die Tribute von Panem“ Trilogie. Die Grundidee ist so einfach, wie perfide: Die Welt ist nach nuklearen Kriegen und Katastrophen zu einem überschaubaren Nordamerika zusammengeschrumpft, das sich in 13 Bezirke und dem Kapitol aufgliedert. In der Vergangenheit haben sich die Bezirke in einer Revolution gegen das Kapitol erhoben, angeführt von Bereich 13. Nur knapp konnte das Kapitol den Sieg davontragen und machte dafür, um ein Exempel zu statuieren, Bezirk 13 dem Erdboden gleich. Aber es gibt eine immer noch währende Strafe und Erinnerung an diese Revolution: Die so genannten „Hunger Spiele“. Aus allen 12 Bezirken, die fest in der eisernen Hand des Kapitols liegen und für dessen Reichtum und Luxus arbeiten müssen, werden jedes Jahr zwei Kinder durch ein Losverfahren ausgewählt: ein Junge und ein Mädchen. Die 24 „Spieler“ oder Tribute werden in einer künstlich gesteuerten, voll verkabelten Arena ausgesetzt und müssen fortan um ihr Leben kämpfen, zur Bespaßung der Kapitolbewohner. Der Letzte der am Leben ist, hat „gewonnen“ und wird wie eine verdrehte Art von Popstar gefeiert und dementsprechend materiell entlohnt.

Suzanne Collins hat mit ihrer Hauptprotagonisten Katniss aus dem armen Randbezirk 12 eine realistisch-pragmatische und gleichzeitig stolze und somit sperrige Hauptprotagonistin in den Kampf um Leben und Tod geschickt. Katniss opfert sich für ihre ausgewählte Schwester und tritt als Tribut in die Hungerspiele ein. Ihr männliches Pendant ist Peeta, der Junge, dem sie noch etwas schuldet und der schon immer in sie verliebt war und ist. Kann Katniss den Jungen umbringen, der für sie sterben würde? Und dann ist da noch Gale, ihr Freund und Beschützer, der einzige Mensch, bei dem sie sie selbst sein kann. Zwischen Leben und Tod haben wir also noch genug Zeit für eine absolute Liebe in einem klassischen Liebesdreieck, die in alle Ecken der Welt übertragen und benutzt wird. Und das ist nur Band Eins.

Es ist unmöglich diese Mischung aus Spartakus, Herr der Fliegen, Julia und Romeo und 1984 wegzulegen. Collins nimmt ihren Hauptprotagonisten im Verlauf der Trilogie immer mehr weg. Menschen, Prinzipien, Würde. Stellt sie vor moralische Entscheidungen, in denen sie nicht gewinnen können. Bringt sie in Situationen, in denen man noch nicht einmal mehr von Moral reden kann. Und stellt die Frage: wie viel kann ein Mensch ertragen, bis es zu viel ist? Wie kann man in einer Welt, die schlecht und korrupt ist, ein „anständiger“ Mensch bleiben ohne selber korrumpiert zu werden? Und was passiert, wenn man feststellt, dass das gar nicht geht? Wenn das Einzige, was man wirklich tun kann, ist auf sich und die Seinen aufzupassen: wer ist man dann?

Ähnliche Fragen stellt Patrick Ness mit seinen „New World“ Büchern, auch eine Triologie, dessen erster Band „Die Flucht“ (Originaltitel „The never letting go Knife“) völlig zu Recht mit dem prestigeträchtigen Guardian Preis ausgezeichnet worden ist.

Auch hier haben wir es mit einer utopischen Welt zu tun, von der aber noch nicht mal Nordamerika übrig geblieben ist. Die Menschheit muss aussiedeln auf einen brandneuen Planeten, New World. Aber dieser Planet hat „Nebenwirkungen“, mit denen niemand gerechnet hätte. Ein Virus befällt die männlichen Siedler: auf einmal kann jeder, die Gedanken des Anderen klar und deutlich vernehmen. Auf Frauen allerdings, hat der Virus angeblich eine tödliche Wirkung. Und so kommt es, dass wir die Geschichte in einem Dorf beginnen, das fast nur aus Männern besteht. Es gibt nur noch einen Junge in Prentisstown, Todd Hewitt, der ungeduldig auf seinen 13 Geburtstag wartet, der ihn endlich zum Mann machen soll. Todd, der auf New World geboren worden ist, kennt es nicht anders, als es jetzt ist: ein andauernder Lärm, der Gedankenströme der Männer von Prentisstown, die schlimmsten und schmutzigsten Geheimnisse genauso wie die alltäglichsten und langweiligsten für jedermann hörbar. Wie ein ständiges unfreiwilliges und brutal ehrliches Statusupdate im Sekundentakt. Die Männer haben zwar gelernt, ihre Gedanken mehr oder minder zu lenken, Dinge in dem Lärm zu verstecken, aber für die meisten, die noch aus unserer Gesellschaft von Individuen kommen, ist der Zustand in New World die fleischgewordene Hölle. Die Hölle, das sind bekanntlich die Anderen. Und die sind nun nonstop auf allen Kanälen zu hören.

Bis Todd einen Riss, ein Loch in dem Lärm von Prentisstown entdeckt. So ein Wesen hat Todd noch niemals gesehen und weiß doch sofort, was er da vor sich hat: ein Mädchen. Das Mädchen mit dem Namen Viola ist die einzige Überlebende eines kleinen Kundschafterschiffes, dass die neuen tausenden von Siedlern darauf vorbereiten soll, was sie am Boden zu erwarten haben.

Kaum wird diese unerwartete Entdeckung gemacht, wird uns und Todd auch schon der Boden unter den Füßen weg gezogen. Die Männer von Prentisstown machen mobil. Sie haben nur darauf gewartet, dass Todd endlich in ihre Gemeinschaft aufgenommen wird und das wird jetzt durch Viola gefährdet. Denn Prentisstown ist nicht die einzige menschliche Siedlung, die es auf New World gibt, wie man Todd erzählt hat. Und auch alles andere ist nicht, wie es scheint. Es gibt sehr wohl noch Frauen auf New World, denn das Virus hat auf Frauen keinerlei Auswirkungen. Die Frauen von Prentisstown sind gestorben, weil die Männer es nicht ertragen konnten, mit jemandem zusammen zu leben, der alles über sie weiß. Dafür sind sie vom Rest von New World verbannt worden. Denn noch ein schreckliches Geheimnis umgibt die Männer: um ein Mann zu werden in Prentisstown, muss man jemanden anderen töten.

Um diesem Schicksal zu entgehen und die anderen Siedler in New World und auf dem Weg dahin zu warnen, müssen Todd und das Mädchen Viola fliehen.

Ihr Ziel: Haven, die ursprüngliche und größte Siedlung weit weg am Meer. Haven soll über die militärischen Kapazitäten verfügen, den Männern von Prentisstown entgegen zu treten und Kontakt aufzunehmen zu dem Siedlerschiff. Aber die Armee der Männer aus Prentisstown, ist den Kindern hart auf den Fersen. Sie wird angeführt von dem undurchsichtigen kontrollierten Bürgermeister Prentiss und dem irren Pfarrer, die beide einer ganz eigenen zerstörerischen Agenda zu folgen scheinen. Eine Armee, die sich selbst abgetötet hat, um hinter sich nur verbrannte Erde zu hinterlassen, bis auf die Männer, die sich ihr anschließen und die auf das gleichen Ziel zusteuert wie Todd und Viola, Haven. Denn dort befindet sich angeblich noch etwas: eine Heilung für den Virus.

Auch dieses Buch beschäftigt sich mit der Frage, wie man im Kampf ums Überleben die wenigen Dinge behält, die einen menschlich machen.

Unsere Helden sind nicht mit magischen Fähigkeiten ausgestatten. Sie haben keine Superstärken, keine Zauberei oder Prophezeiungen sind auf ihrer Seite. Sie sind genauso hungrig und durstig und verzweifelt, wie jeder normale Mensch, sie machen Fehler und schließen fragwürdige Kompromisse. Alles was sie wollen, ist sich und die Personen, die man liebt, heil an einen Ort zu bringen, wo man sicher ist. Die einzige magische Fähigkeit, die sie besitzen, ist eine moralische. Der Willen, trotz übermächtiger Gegner, auswegsloser Situationen, diese eine Grenze nicht zu überschreiten, sich eine Bastion der Menschlichkeit zu bewahren. Todd, der Junge, der nicht töten kann, der nicht töten will, ist das einzige Bindeglied zur Unschuld für die Männer aus Prentisstown. Und wird damit zur Zielscheibe derer, die sie verloren haben. Die fixe Idee, dass jeder korrumpierbar ist, soll an ihm veranschaulicht werden, um zu zeigen, dass es kein Entrinnen gibt. Gleichzeitig wird Todd dadurch für die, die an ein anderes Leben glauben, zu einem Symbol der Revolution gegen die zerstörerische Kraft der Vernichtung.

Beide Bücher werden zusätzlich zu der existentiellen Thematik so stark gemacht durch die absoluten Bindungen der Hauptprotagonisten aneinander. Es ist keine körperliche Liebe, sondern zum größten Teil eine geistige. Eine Abhängigkeit, die nur glaubhaft entstehen kann in den ständigen Ausnahme- und Kampfsituation, in denen sich die Helden befinden. In beiden Büchern bilden sich zwei Kampfeinheiten, die dem alten „Wir gegen den Rest der Welt“ Pärchenwahlspruch folgen. Nur das dabei in ihrem Fall wirklich die ganze Welt gemeint ist, die sich bis an die Zähne bewaffnet hat und darauf aus zu sein scheint, genau diese Einheit zu brechen. Diese Paare gehen über Leichen, selbst über ihre eigenen, damit dem Anderen nichts passiert, opfern sich einmal, zweimal, ach die ganze Zeit, damit man den Anderen in Sicherheit wissen kann. (Der natürlich ohne den sich Opfernden gar nicht leben will und kann.) Eine ständige Drahtseilaktion führt durch die Bücher, in der diese Paare entweder versuchen zusammen zu bleiben oder wieder zusammen zu kommen. Und die immer wieder für höhere Zwecke von anderen instrumentalisiert werden. Sei es als Exempel, das man jeden brechen kann, wenn man nur will, das niemand unschuldig bleibt, wenn man nur genug Druck ausübt. Oder sei es als ein Symbol für den Widerstand, die Revolution der Menschen, gegen den Terror dieser zerstörerischen Kräfte.

Die große Stärke und gleichzeitig größte Schwäche dieser Bindung ist die Bereitschaft, alles zu opfern, um einen sicheren Ort zu schaffen, in der man zusammen sein kann. Und so findet sich sowohl Katniss, wie auch Todd zuweilen auf der falschen Seite weiter, die für die Sicherheit ihrer Partner garantieren kann oder um die Partner nicht zu gefährden, die als Druckmittel verwendet werden.

Das ist eine weitere Komponente, die diese Bücher besonders macht: Die Protagonisten verirren sich in schöner Regelmäßigkeit im moralischen Gestrüpp und müssen Stück für Stück ihren eigenen moralischen Kodex herausschälen, mit allen Fehleinschätzungen, Rückschlägen und Fehlern, die damit einhergehen. Sie lernen zu lügen, zu erpressen, die Bereitschaft für eine höhere Sache Menschen zu opfern. Teilweise kommen sie sogar in Versuchung der Verführung ihrer Gegenspieler zu erliegen, denn im Laufe der Geschichte  scheint es immer wieder so, dass diese gute Gründe und hehre Ziele haben, weswegen sie die Welt ins Chaos stürzen.

Diese Fehler werden immer mit einem hohen Preis in diesen Büchern bezahlt. Und da die Protagonisten vielleicht einige Fähigkeiten übernehmen können, die von fragwürdiger Natur sind, aber im Grunde aus einer anderen Überzeugung handeln, finden sie andere Mittel, um auf ihre Ziele hinzuarbeiten und kehren immer wieder auf ihren eigenen Weg zurück. Denn sie sich mit Blut und Schweiß und Tränen aus ihren Rippen schneiden. Keiner hat je behauptet oder gesehen, dass es einfach ist, zu den Guten zu gehören. 

Man könnte jetzt denken: und das soll ein Jugendbuch sein? Kann man diese brutale Welt den „Kindern“ zumuten? Erstens ist es kein reines Jugendbuch, es ist erstmal ein gutes Buch, das von jedermann gelesen werden kann. Und zweitens scheint das genau das zu sein, was diese Bücher zu guten (Jugend)Büchern macht. Kein Vortäuschen falscher Tatsachen: Ja, die Welt ist schlecht, insbesondere die Menschen. Ja, manchmal scheint es keinen richtigen Weg zu geben, den man gehen kann. Ja, Gewalt, Terror und Fanatismus ist Teil dieser Welt. Denn wenn wir ehrlich sind: das wissen wir und das wissen auch die Jugendlichen. Und niemand mag es, belogen zu werden, auch wenn die Lüge in einem literarisch ansprechenden Kleid daher kommt.

Vor allen Dingen ist das auch nicht alles, was diese Bücher zu sagen haben: Ja, es ist nicht leicht, aber machbar. Ja, man kann einen Ort, einen Mensch, eine Vision finden, die eine Insel in dieser verrückten Welt sein kann und für die es sich dann auch lohnt zu kämpfen. Und das ist in diesen schonungslosen brutalen Büchern dann doch wieder sehr romantisch. Eine Romantik, die es braucht, um die Dunkelheit erträglich zu machen.

 

New World 1

Ravensburger Buchverlag 2009

544 Seiten, €16,95

ISBN: 978-3473352999

 

New World 2

Ravensburger Buchverlag 2009

573 Seiten, €16,95

ISBN: 978-3473353101

 

New World 3

Ravensburger Buchverlag 2010

634 Seiten, €17,95

ISBN: 978-3473353255

 

Hoch

 

 

Neue Schauplätze, ungeahnte Angst

Suzanne Collins:  Reihe "Die Tribute von Panem" ("Tödliche Spiele", "Gefährliche Liebe", "Flammender Zorn")

Von Carolin Kotsch

 

Panem besteht aus zwölf Distrikten. Die Menschen sind wie Gefangene in ihrem Distrikt eingesperrt, leiden Hunger und müssen schwer arbeiten. Nahezu alles ist verboten oder unterliegt einer strengen Regelung. Die sechzehnjährige Katniss lebt allein mit ihrer Mutter und ihrer kleinen Schwester Prim in Distrikt 12 und versucht verzweifelt, ihre Familie vorm Hungertod zu bewahren. Dabei bringt sie sich ständig in Gefahr, von der grausamen Regierung bestraft zu werden. Die größte Gefahr geht jedoch von den sogenannten ‚Hungerspielen‘ aus. Denn die Bewohner werden gezwungen zu deren Zweck jedes Jahr aus allen Distrikten einen Jungen und ein Mädchen auszulosen. Diese müssen dann gegen die Kinder der anderen Distrikte, die Tribute, kämpfen. Dabei gilt: jeder gegen jeden – so lange, bis nur noch ein Kind übrig bleibt. Als feststeht, dass Prim antreten muss, meldet sich Katniss freiwillig, um ihre kleine Schwester zu schützen. Zusammen mit Peeta, der ausgewählte Junge ihres Distrikts, macht sie sich auf den Weg zu den schrecklichen Spielen, die vom Kapitol wie ein Fest zelebriert und auf großen Leinwänden live übertragen werden. Auch sie müssen gegeneinander kämpfen, denn es kann nur einer überleben. Mit Hilfe einer List gelingt es ihnen, sich vor dem sicher geglaubten Tod retten. Doch das Überleben von zwei Tributen ist nicht vorgesehen.

Und plötzlich stehen sie unweigerlich im Rampenlicht und müssen weiterhin nach den Regeln der Machthaber spielen. Sie werden als Liebespaar inszeniert. Doch Katniss ist sich über ihre Gefühle unsicher. Einerseits fühlt sie durch die Grausamkeiten der Hungerspiele tief mit Peeta verbunden, andererseits lassen sie die Gedanken an ihren früheren Jadgpartner Gale nicht mehr los. Hinzu kommt, dass Katniss und Peeta bald in noch größerer Gefahr schweben als zuvor. Es ist ein Widerstand unter den Bewohnern der unterjochten Distrikte spürbar, sodass das Kapitol entscheidet, die Spiele erneut zu beginnen. Die Regeln werden jedoch verschärft, um  dieses Mal ein Entrinnen unmöglich zu machen.

 

Suzanne Collins schafft mit ihren Jugendromanen etwas völlig Neuartiges. Sie entwickelt die Utopie einer Gesellschaft und lässt viele von deren Elementen real und durchaus auf die Wirklichkeit übertragbar erscheinen. Damit grenzt sie klar sich von anderen Fantasy-Reihen wie die Twilight-Saga oder Harry Potter ab, mit deren Niveau sie aber durchaus mithalten kann. Es gelingt ihr, neue Schauplätze zu entwerfen und eine ungeahnte Angst greifbar zu machen. Der Leser muss starke Nerven beweisen, denn er wird mitten in das Geschehen versetzt, spürt die Verfolger hinter sich und viele beobachtende Augen in seinem Rücken. Aber nicht nur Abenteuer und Spannung sind die Stärken des Romans. Außerdem werden in einem gut verständlichen Schreibstil große Gefühle erzeugt, die den Leser ebenso fesseln und mitfühlen lassen. Die Hauptfigur Katniss beeindruckt durch ihre innere Stärke, ihren Willen und ihren Einfallsreichtum. Sie schafft es, immer wieder zu überraschen und löst damit die meiste Spannung innerhalb der Handlung aus.

Nebenbei kritisiert die Autorin gekonnt Erscheinungen wie die Massenmedien, Reality-Shows und die Bereitschaft der Konsumenten für eine gute Unterhaltung über ‚Leichen‘ zu gehen.

Zwei der insgesamt drei geplanten Bände sind bisher erschienen: ‚Tödliche Spiele‘ und ‚Gefährliche Liebe‘, der dritte Teil erscheint voraussichtlich im März 2011.

 

Suzanne Collins:

"Die Tribute von Panem – Tödliche Spiele"

Aus dem Amerikanischen von Sylke Hachmeister und Peter Klöss

Oetinger 2010

414 Seiten, 17,90 Euro

ISBN 978-3789132186

 

Suzanne Collins:

"Die Tribute von Panem – Gefährliche Liebe"

Aus dem Amerikanischen von Sylke Hachmeister und Peter Klöss

Oetinger 2010

414 Seiten, 17,95 Euro

ISBN 978-3789132193

 

Suzanne Collins:

"Die Tribute von Panem – Flammender Zorn"

Aus dem Amerikanischen von Sylke Hachmeister und Peter Klöss

Oetinger (noch nicht erschienen)

430 Seiten, 18,95 Euro

ISBN 978-3789132209

 

Hoch

 

 

Junge Vampire terrorisiert

P.C Cast und Kristin Cast: Reihe "House of Night" ("Gezeichnet", "Betrogen", "Erwählt")

Von Carolin Kotsch

 

Als Zoey eines Tages völlig unvorbereitet gezeichnet wird, gerät ihr gesamtes Leben aus den Fugen. Sie muss in das House of Night, einer Art Internat für Jungvampire, sonst wird sie unweigerlich sterben, denn die Wandlung vom Menschen zum Vampir ist gefährlich. Im House of Night soll Zoey alles über das Leben der Vampire lernen, aber sie ist kein gewöhnlicher Jungvampir und gerät zusammen mit ihren vier Freunden in viele gefährliche Situationen. Zoey scheint von der Vampirgöttin Nyx für Höheres bestimmt zu sein, denn bald  sieht sie sich gezwungen die ‚Töchter der Dunkelheit‘, den einflussreichsten Zusammenschluss von Schülern im House of Night, zu übernehmen. Nur so kann sie verhindern, dass dieser seinen Einflussreichtum ausnutzt und andere Jungvampire terrorisiert.

Sonst unterscheiden sich die jungen Vampire kaum von normalen Teenagern. Das Internat steht inmitten einer Kleinstadt und die Jungvampiere dürfen sich, nachdem sie ihr unverkennbares Mal verdeckt haben, unter den Menschen bewegen. Außerdem machen sie erste Erfahrungen mit der Liebe und müssen mit ganz alltäglichen Problemen kämpfen. Für Zoey zählt dazu vor allem ihr menschlicher Fast-Exfreund Heath, der nach einer unerlaubten Begegnung nicht mehr von ihr lassen kann. Aber auch die fiese Schulschönheit Aphrodite und der niedliche Erik lassen Zoey nicht zur Ruhe kommen.

Leider muss Zoey schnell feststellen, dass nicht alle im House of Night das sind, was sie zu sein scheinen und sie genau aufpassen muss, wem sie vertrauen kann. Das ist besonders der Fall, als plötzlich menschliche Teenager aus Zoeys früheren Umfeld verschwinden und sie plötzlich verdächtigt wird, etwas damit zu tun zu haben. Als dann auch noch ihre beste Freundin Stevie Rae, ebenfalls eine Jungvampirin, ihre Wandlung nicht zu überleben scheint, ist Zoey vollkommen auf sich allein gestellt.

Die Probleme scheinen sich immer mehr zu häufen. Zoey merkt, dass mit dem Tod Stevie Raes irgendetwas nicht stimmt und sie muss sich plötzlich zwischen Erik, Heath und einer möglichen 3. Beziehung zu einem Lehrer entscheiden. Die Lage spitzt sich zu, als sich Morde an Vampiren häufen und nur Zoey in der Lage ist das Rätsel darum zu lösen.

 

Insgesamt sind bisher 3 Bände der erfolgreichen Vampyr-Serie erschienen: „Gezeichnet“, „Betrogen“ und „Erwählt“, 4 weitere Bände sollen noch folgen.

Den Autorinnen P.C. Cast und Kristin Cast, Mutter und Tochter, gelingt es, eine sehr lebendige Kulisse für ihre Romane zu erschaffen. Detailgetreu beschreiben sie sowohl die Charaktere als auch ihr Umfeld. Der Leser wünscht sich fast, auch in den Mauern des Internats zu Hause zu sein. Hingezogen fühlt man sich vor allem zu der liebenswürdigen Stevie Rae und man kann sich gut in das Gefühlschaos von Zoey hineinversetzen. Ganz nebenbei werden noch Teenagerprobleme, wie die Beziehung zur Familie, der Umgang mit Freunden und das Anders-Sein, aufgegriffen und aufgearbeitet.

Störend ist die von den Autorinnen verwendete und zuweilen fast schon erzwungen wirkende Teenagersprache. Die Spannung wird dadurch aber nicht gemindert, denn der Leser wird mit ganz neuen Eigenschaften von Vampiren überrascht, sodass nur sehr wenige Klischees bedient werden. Die Handlung bleibt spannend bis zu letzten Minute und hält einige Überraschungen bereit.

Aufgrund der Sprache und der Handlung ist die Reihe vor allem für Teenager und junge Erwachsene empfehlenswert.

 

P.C Cast und Kristin Cast:

"House of Night - Gezeichnet"

Aus dem Amerikanischen von Christine Blum

Fischer 2009

464 Seiten, 16,95 Euro

ISBN 978-3596860036

 

P.C Cast und Kristin Cast:

"House of Night - Betrogen"

Aus dem Amerikanischen von Christine Blum

Fischer 2010

509 Seiten, 16,95 Euro

ISBN 978-3841420022

 

P.C Cast und Kristin Cast:

"House of Night - Erwählt"

Aus dem Amerikanischen von Christine Blum

Fischer 2010

448 Seiten, 16,95 Euro

ISBN 978-3841420039

 

Hoch

 

 

Arbeit oder Liebe

Adam Davies: „Dein oder mein“

Von Susan Müller

 

Unser Sicherheitsbeauftragter Otto, der in seiner Ausbildung immer einer der Besten war, vor allem wegen seiner scharfen Wahrnehmung, ob akustisch, visuell oder geruchssicher, soll Kunstdiebe von ihrem Vorhaben abhalten.

Doch er ist nicht nur Sicherheitsmann, sondern auch nur Mann. Einer, der liebt, aber für die Liebste seines Herzens nicht die richtigen Worte am richtigen Ort zur richtigen Zeit findet. Wie er Charlie kennenlernte und welche tollpatschige Fähigkeit diese besitzt, versetzt uns Leser in amüsante Szenen und Minuten. Und wie Otto seiner Angebeteten die Frage aller Frage nahebringt, ist ein Weg, der mit Spannung gespickt ist. Denn es wird schnell klar, dass Otto nur eine Liebe leben kann - die zu Charlie oder die zu seiner Arbeit.

Da unser Otto gern zu Halluzinogenen oder anderen Aufputschern greift, ist ihm schlussendlich auch nicht klar, ob Charlies Nähe und ihr eindeutiges Angebot auf dem Boot real sind. „...doch dann schiebt sie ihren Körper vor, wie ein Geschenk. Charlie sorgt dafür, dass ich es glaube.“

Tragisch amüsant versteht es Adam Davies, Ottos Geschichte um große Liebe und Beruf zu erzählen.

 

Adam Davies:

„Dein oder mein“

Aus dem Amerikanischen von Hans M. Herzog

Diogenes 2010

365 Seiten, 21,90 Euro

ISBN 978-3257067422

 

Hoch

 

 

Viele Klischees und auch ein wenig Neues

Nur für Vampir-Fans: Reihe "Tagebuch eines Vampirs von Lisa J. Smith" ( "Im Zwielicht", "Bei Dämmerung", "In der Dunkelheit", "In der Schattenwelt", "Rückkehr bei Nacht")

Von Carolin Kotsch

 

Elena, das beliebteste Mädchen der Highschool - und daher an keine Zurückweisung gewöhnt, ist ständig auf der Suche nach neuen Eroberungen. Denn keiner ihrer bisherigen Freunde scheint sie lange glücklich machen zu können.

Als ein neuer, geheimnisvoller Mitschüler in der Schule auftaucht, setzt sie natürlich alles daran, ihn kennenzulernen und für sich zu gewinnen. Doch scheinbar widersteht der Neue -Stefano-  allen ihren Annährungsversuchen. Warum? Das erfährt Elena erst viel später. Da ist sie längst in seinen Armen gelandet. Zu hohem Preis! Eine Botin des Unheils ist eine unglaublich große Krähe; ein Symbol, so häufig wie erfolgreich in der Literatur bemüht. Man ahnt Böses.

 

Stefano hat einen Feind, es ist sein Bruder Damon, und wer sich ein wenig im Genre dieser Bücher Bücher auskennt, der weiß, dass 600 Jahre Feindschaft ganz normal sind. Wie die Irrungen und Wirrungen zwischen den Protagonisten. Bei Vampiren bekommt das natürlich eine besondere Note; Damon ist hinter Elena auch wegen ihres Blutes her. Keine ganz einfache Aufgabe für Stefano, sie zu beschützen.

Was für eine Welt hinter den Mauern der Normalität! Dasselbe gilt für Fell's Church, der Schauplatz. Eine Kleinstadt, in der vieles nicht so ist, wie es scheint. Dunkle Geheimnisse noch und noch - vielen Bewohnern sitzt eine weit zurückreichende Vergangenheit im Rücken.

 

Angesichts der totalen Unnormalität muss Elena ihr bisheriges Leben aufgeben, nichts kann so bleiben, wie es ist, wenn sie Stefan in ihr Leben lässt. Obwohl die Gefahr, die von Damon ausgeht, immer größer wird, breitet sich eine noch weitaus verhängnisvollere Macht über der Stadt aus.

Der einzige Ausweg, diese Macht zu besiegen und die Stadt und ihre Bewohner zu retten, besteht plötzlich darin, dass die beiden Brüder ihre Feindschaft vergessen und gemeinsam  kämpfen. Elena kann das Geschehen nur beobachten, denn sie ist als Geist in einer Schattenwelt gefangen und besitzt zunächst keinerlei Macht. Doch kaum ist diese Gefahr gebannt, wird das Böse erneut von dem magischen Ort angezogen. Elena muss nun allein dagegen ankämpfen, denn Damon und Stefano können ihr nicht mehr helfen.

Na ja, lassen wir offen, ob sie Stefano wiedersieht!

 

In der Reihe „Tagebuch eines Vampirs“ werden also viele Klischees über Vampire bedient. Neue Seiten erfindet die Bestseller-Autorin Lisa J. Smith auch hinzu. Neben den Vampiren tauchen auch einige andere Gestalten jener dunklen Seite auf, sodass es sich nicht mehr nur ausschließlich um einen Vampirroman handelt. Trotzdem kommen alle Vampir-Fans voll auf ihre Kosten. Besonders Damon ist eine interessante und sehr schwer zu durchschauende Figur, die einen großen Teil der Spannung erzeugt. Aber auch alle anderen Hauptfiguren tragen dazu bei, den Leser zu fesseln.

Der Roman ist eine gute Mischung aus Romantik, Dramatik und Action und wird in einem einfachen, gut verständlichen Schreibstil erzählt.

Bei der Beurteilung der bereits in den 90eer Jahren erschienenen Werke von Lisa J. Smith, sollte man sich jedoch nicht zu sehr von der seit diesem Jahr ausgestrahlten Serie „The Vampire Diaries“ leiten lassen, denn obwohl die Grundlagen übereinstimmen und es einige Parallelen zum Buch gibt, bestehen große Unterschiede bei der Darstellung der Charaktere. Bisher sind fünf Bücher dieser Serie in Deutschland erschienen, dazu gehören. Viele Buchseiten sind zu erwarten, sodass es weiterhin spannend bleibt, ob es Stefano, Damon, Elena und ihren Freunden gelingt, das Böse endgültig zu besiegen.

 

 

Lisa J. Smith: Im Zwielicht (Tagebuch eines Vampirs 1)

Aus dem Englischen von Ingrid Gross

cbt Verlag 2008

256 Seiten, 7,95 Euro

ISBN 978-3570304976

 

Lisa J. Smith: Bei Dämmerung (Tagebuch eines Vampirs Band 2)

Aus dem Englischen von Ingrid Gross

cbt Verlag 2008

256 Seiten, 7,95 Euro

ISBN 978-3570304983

 

Lisa J. Smith: In der Dunkelheit (Tagebuch eines Vampirs Band 3)

Aus dem Englischen von Ingrid Gross

cbt Verlag 2008

256 Seiten, 7,95 Euro

ISBN 978-3570304990

 

Lisa J. Smith: In der Schattenwelt (Tagebuch eines Vampirs Band 4)

Aus dem Englischen von Ingrid Gross

cbt Verlag 2008

272 Seiten, 7,95 Euro

ISBN 978-3570305003

 

Lisa J. Smith: Rückkehr bei Nacht (Tagebuch eines Vampirs Band 5)

Aus dem Englischen von Ingrid Gross

cbt Verlag 2010

608 Seiten, 9,95 Euro

ISBN 978-3570306642

 

Hoch

 

 

Nur um wenige Schritte verrückt

Michael Wein "Delfinarium"

Von Jule D. Körber

 

In Michael Wein Protagonist Daniel geht mit einer stummen Schönheit ins „Delfinarium“ – und muss sich entscheiden, auf welcher Seite er stehen will

 

„Seit damals erscheinen mir Delfine als kalte, glatte, berechenbare Tiere. Sie tun so scheißfreundlich, aber sie sind viel hintertriebener, als man ihnen ansieht. Sie sind so falsch. Und sie wirken so nackt, nackte Tiere, auf eine brutale Art nackt und glänzend.“

 

Weil Henry, Susanns Mann, Angst vor Delfinen hat, engagiert er Daniel Martin, der sich aus Versehen als Martin Daniel vorstellt, um seine Frau ins Delfinarium zu begleiten. Die schöne Susann schläft mit offenen Augen, wirkt abwesend und ist vor allem eins – stumm. Während des Kaiserschnitts zur Geburt ihres ersten Sohnes fiel sie kurz in ein Koma.

 

„Sie war bloß sieben Minuten weg, aber innerlich hat sich ihre Welt mehrfach um die eigene Achse gedreht.“

 

Seitdem leidet Susann an „dissoziativer Amnesie“, wie Henry Daniel erklärt.

 

„Sie erinnert sich an nichts. Vielleicht fragt sie sich die ganze Zeit, was sie hier soll, in dieser Umgebung. Sie weiß wahrscheinlich weder, wer sie ist noch, wer ich bin.“

 

Da hat Susann etwas mit dem Protagonisten Daniel gemeinsam. Sein Schulabschluss ist schon länger her, doch er hat nicht den Antrieb, sich einen Job oder irgendeine andere sinnvolle Tätigkeit zu suchen. Er schläft mit der Pastorentochter Petra aus der Nachbarschaft, doch verliebt ist er in die ambitionierte Umweltaktivistin, die gegen Airbus für den Erhalt der Landschaft im Alten Land eintritt, nicht. Sein Vater, ein ehemaliger Konzertpianist, ist frühverrentet und mehr oder minder lebensunfähig, seine Mutter gibt es nur auf einem Foto. Zu allem Überdruss lebt er im Alten Land, dem größten zusammenhängenden Obstanbaugebiet der Erde, zwischen den „Apfelmenschen“ nahe Hamburg. Nicht gerade eine Umgebung, die einen jungen Menschen auffordert, sich zu bewegen.

Antrieb bekommt er erst nach seinem ersten Besuch mit Susann im Delfinarium und als er sieht, wie die geheimnisvolle Schönheit beim Anblick der Meeressäuger kurz aus ihrer Lethargie aufwacht.

 

„Sie hat sich nach vorne gebeugt, ihre Augen leuchten, das kann ich sogar von der Seite sehen, und dieses Leuchten gilt den Delfinen. Ihr Gesicht ist gelöst. Sie sieht glücklich aus, das Leben ist zurückgekehrt, es ist ein Schauspiel. Es hat etwas mit Anwesenheit zu tun.“

 

Schnell merkt Daniel, das mit Susanns Geschichte in Henrys Version etwas nicht stimmen kann. Ein Mann taucht auf und behauptet, Susann sei Marie, seine verschwundene Frau, und die Hinweise verdichten sich, dass das stimmen könnte. Daniel muss sich entscheiden, wem er glaubt. Und auch, woran er glaubt.

Denn während seiner Ausflüge ins Delfinarium mit Susann tobt im Alten Land der Krieg Airbus gegen Obstbauern, Arbeitsplätze gegen Umweltschutz – Petra kämpft an der Front und erwartet von Daniel, dass er, der Unambitionierte, Position bezieht.

Am Ende zwingt das Leben Daniel und auch alle anderen Figuren in Weins „Delfinarium“ sich zu entscheiden – und mit den Konsequenzen zu leben. Auch wenn das Geheimnis um Susann nicht endgültig gelüftet werden kann.

 

Michael Weins: Delfinarium

Mairisch Verlag 2009

211 Seiten, 17,90 Euro

ISBN 978-3938539118

 

Hoch

 

 

Leise knarzende Sessel

Zoran Zivkovic: "Das letzte Buch"

Von Anne Spitzner

 

Ein Todesfall kann vorkommen. Zwei Todesfälle am selben Ort sind Zufall. Aber drei? Und dann auch noch in einer Buchhandlung?

Das ist der Stoff, aus dem der Anfang von „Das letzte Buch“ gewebt ist: ein Toter in einer Buchhandlung, für dessen Tod es scheinbar nicht die geringste Ursache gibt, wie sogar der erfahrene Pathologe eingestehen muss, eine schöne Buchhändlerin und ein Kommissar, der sich nicht damit zufrieden geben will, dass es sich einfach um einen Herzinfarkt handelt. Zumal aus dem einen Toten bald zwei werden.

„Das letzte Buch“ nimmt von Anfang an gefangen. Wenn der nächste Tote in der Buchhandlung „Papyrus“ gefunden wird, leidet man mit der Buchhändlerin, die um ihren Laden fürchtet, und ermittelt mit dem Kommissar. Ein einziges kleines Manko ist, dass der Roman zu sehr zwischen Liebesgeschichte und Detektivroman hin und her schwingt und sich nicht so richtig entscheiden kann, was er nun eigentlich sein will.

Das ist aber kein großes Problem, und ansonsten kann man sich leicht und locker mitnehmen lassen auf eine Reise zum „letzten Buch“, nach dem alle zu suchen beginnen, in die Buchhandlung „Papyrus“, die überraschenderweise eine echte Halbwelt ist, mit Kunden, die eher Psychotikern ähneln. Man kann regelrecht eintauchen in diese Atmosphäre knisternder Papierseiten, raschelnder Einbände und leise knarzender Sessel.

Leider, leider jedoch bleibt vieles wirr und bis zum Ende unklar. Der Grund für die Morde, für die Albträume des Kommissars und die Anwesenheit der Geheimpolizei, die plötzlich mitermitteln will, die Ursache für die Tode und noch manch anderes liegt einfach auch nach dem Schluss noch im Dunkeln. Darin kann man einerseits eine gewisse Spannung erkennen, weil man sich die Lösungen für diese Rätsel ausdenken, sich also die Antworten selber geben kann; für Leser mit weniger Fantasie mag das allerdings frustrierend sein.

Nichtsdestotrotz ist „Das letzte Buch“ eine spannende und dennoch gemütlich vor sich hin plätschernde Erzählung, eben irgendwo zwischen Liebes- und Detektivroman, und wegen seines gar nicht so abschreckenden Umfangs von knapp über 200 Seiten auch als Reiselektüre oder für zwischendurch geeignet.

 

Zoran Zivkovic:

"Das letzte Buch"

Aus dem Sorbischen von Astrid Philippsen

dtv 2008

224 S., Euro 9,95.-

ISBN 978-3423211031

 

Hoch

 

 

Dunkel im Dom

Aber kein klassischer Krimi: Urbans "Im Dunkel der Kathedrale"

Von Verena Zürcher

 

Der fünfte Roman des Tschechen Milos Urban fängt verheißungsvoll an und bald zeigt sich, dass Urban ein literarischer Könner ist. Wer aber meint, mit dem Buch „Im Dunkel der Kathedrale“ einen süffigen, spannungsgeladenen Krimi lesen zu können, irrt. Leider!

Der Burgberg, der die Silhouette der tschechischen Hauptstadt Prag dominiert, ist zentral im neusten Werk von Milos Urban. Bereits auf den ersten Seiten des als „Kirchen-Krimi“ angepriesenen Werks passiert im Zentrum der Burganlage, dem Veitsdom, ein grausiger Mord. Pater Kalandra ist gewaltsam zu Tode gekommen und flugs wird sein Wirkungsfeld, die mächtige Kathedrale mit bewegter, uralter Geschichte, noch düsterer und geheimnisvoller.

Doch der Lesende braucht starke Nerven, um den Rätseln auf die Spur zu kommen. Nicht darum, weil die kriminelle Handlung dermaßen prickelnd wäre. Sondern darum, weil Urban seinem Leser alles abverlangt. Das Werk ist so unerhört dicht, dass es sich definitiv nicht als leichte Unterhaltungslektüre eignet. Wer den Urban abends im Bett – mit schon etwas müdem Geist – lesen will, fängt besser gar nicht erst damit an.

Sicher, Im Dunkel der Kathedrale, ist hervorragend komponiert, ist stimmungsvoll und bietet viel Atmosphäre und spielt in der Gegenwart. Doch die unzähligen Streifzüge, welche der Autor ins Mittelalter unternimmt, führen dazu, dass der Moder eben dieser Zeit auf den Leser übergreifen kann: Für einen süffigen Krimi ist das Buch zu beladen mit Kirchen-, Kunst- und Kulturgeschichte.

Erschwerend kommen die eher blassen Charaktere der Protagonisten hinzu: Roman Rops ist Kunsthistoriker und arbeitet an einer Auftragsarbeit über den Veitsdom für einen ausländischen Verlag. Durch eine geheimnisvolle Botschaft wird er in aller Herrgottsfrüh in den Dom gelockt – und entdeckt eine Hand. Sie gehörte Pater Kalandra. Kurz darauf findet sich auch die Leiche des Geistlichen. Rops hätte eigentlich Potential, um wenigstens die Leserinnen zu begeistern, doch leider bleibt er ein eher fader Sonderling. Selbst die Tatsache, dass er erst in Mordverdacht und später selber in Gefahr gerät, vermag kein anhaltendes Kribbeln auszulösen. Nicht viel besser ist seine „Gegenspielerin“, die Kriminalpolizistin Klara Brochova, die dringend einen Erfolg bräuchte, um sich als junge Kommissarin zu etablieren. Wie Rops bleibt auch sie eher blutleer und schleicht dem eigenartigen Kunsthistoriker in schon fast duckmäuserischer Weise hinterher. Die Tatsache, dass der Autor Rops und Brochova wechselnd in der Ich-Perspektive erzählen lässt, macht die Lektüre zwar speziell, nicht aber einfacher.

Warum Sie diesen Roman dennoch lesen sollten? Der Autor hat, wie bereits erwähnt, nicht nur in Sachen Stimmung und Atmosphäre ein kluges Werk geschaffen, sein Erzählstil zeugt von Können, seine Sprache ist gewandt, dicht. Und wer sich auch nur ein klein bisschen für Kirchen- und Kunstgeschichte begeistern mag, wer Lust hat, ins modrige Dunkel einer geheimnisvollen Kathedrale, einer geheimnisvollen Zeit abzutauchen, soll dieses Werk lesen. Voraussetzung: Genügend Zeit und Konzentration. Und das Wissen darüber, dass "Im Dunkel der Kathedrale" nicht dem Genre des klassischen Krimis zugeordnet werden kann.

 

Milos Urban:

"Im Dunkel der Kathedrale"

Aus dem Tschechischen von Sophia Marzolff

dtv 2008

251 S, Euro 9,95

ISBN 978-3423210522

 

Hoch

 

 

Viele Jahre der Selbstzweifel und Selbstzerstörung

Leena Lehtolainen führt zurück in die Untiefen der Vergangenheit

Von Susan Müller

 

Katjas Familie hat eine Menge durchgemacht. Ihr Großvater wurde vor 25 Jahren von ihrem Onkel getötet, zumindest wurde letzterer rechtskräftig verurteilt. Das Gefängnisleben hat ihn zermürbt und er hat seinem Leben selbst ein Ende gesetzt. Jetzt, viele Jahre später, plagen Katja Zweifel, ob dies wirklich an dem war. Sie horcht in sich herein und verbindet ihre eigenen Probleme mit dieser quälenden Ungewissheit, sie litt an Fresssucht und trinkt ganz gern um zu Vergessen und um zu Unterdrücken, dass sie sich selbst für unzulänglich hält. Sie gibt sich unterschwellig auch die Schuld an ihrer missglückten Beziehung, die sie ebenfalls aus der Bahn warf. Ihre Magisterarbeit, an der sie als Musikstudentin arbeitet, geht auch nicht voran und dabei ist sie nun schon 30.

Katjas Zweifel werden noch von ihrer Tante bestärkt, die selbst etwas neurotisch scheint und Gerüchte schürt, die ihren Vater, Katjas Großvater, der sexuellen Unzucht bezichtigen. Der Rest der Familie blockt Katjas Fragen ab und möchte nicht mehr über diese Sache sprechen. Doch das Leben dreht sich bei Katja nicht nur um den Tod, sondern sie ist ehrlich bemüht, normal zu essen und nur noch wenig Alkohol zu sich zu nehmen. Durch eine Idee, für ihre Magisterarbeit Fragebögen von Künstlern ausfüllen zu lassen, trifft sie auf einen Rockmusiker, den sie früher angeschwärmt hat. Nachdem dieser sie kennen lernte, möchte er auch ihre Lieder hören, die Katja während ihres Studiums schreibt und singt. Bisher interessierte sich nur keiner dafür. Im Studio trifft sie auch ihren früheren Schulkameraden wieder, der unverhohlenes Interesse an ihr zeigt, an ihr als Frau. Noch kann Katja die Neuigkeiten in ihrem Leben nicht einordnen, aber sie helfen ihr für ihre Selbstdisziplin. Nur geht ihr das Familiendrama nicht aus dem Kopf und ob vielleicht ein anderer aus der Familie dahinter steckt, war sie es gar selbst?

Im Roman stecken zwei Geschichten , die der Leser, jede für sich, mit gutem Ausgang wünscht und das macht das Buch fesselnd.

Einerseits steht die Frage: Wer war Opas Mörder und vor allem, wie war der Tathergang über den alle so beharrlich schweigen? Andererseits möchte der Leser wissen, ob Katja ihr Leben zu ihrer Zufriedenheit in den Griff bekommt mit neuen Aufgaben und ohne „Freßattacken“ und vergessensuchende Alkoholräusche, und einer liebevollen Beziehung. Katja erkennt und verarbeitet, dass sie nicht schuld ist, weder am Tod ihres Großvaters, noch an der gescheiterten Beziehung der ersten Liebe, denn da lag es eindeutig an der Feigheit ihres Partners, der nie den Mut aufbrachte zu seiner Homosexualität zu stehen und daher gar nicht auf Katjas Bedürfnisse eingehen konnte.

Wieder einmal erleben wir die Grausamkeit der fehlenden Kommunikation, denn viele Jahre der Selbstzweifel und Selbstzerstörung wären Katja erspart geblieben, hätte es hier und da ein (er)klärendes Gespräch gegeben. Lesenswerte Lektüre, die die Phantasie des Lesers für immer wieder andere Lösungen und  Möglichkeiten anregt.

 

Leena Lehtolainen:

"Du dachtest, du hättest vergessen"

Aus dem Finnischen von Gabriele Schrev-Vasara

Kindler 2007

414 S., Euro 19,90

ISBN 978-3463404745

 

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