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Cheyenne – This Must Be The Place

Sean Penn hauptrollt enigmatisch

von Daniel Ableev

 

Sean Penn ist ein beachtlicher Schauspieler. Der Ex-Ehemann von Madonna war in seinen Filmen schon sehr viele – ein zwielichtiger Jude („Carlito’s Way“), ein egoistischer Jazz-Gitarrist („Sweet And Lowdown“), ein geistig zurückgebliebener Vater („I Am Sam“), ein ehemaliger Krimineller („Mystic River“), ein homosexueller Politiker („Milk“). Und nun ist er ein exzentrischer Grufti-Phlegmatikus, dessen Karriere in depressiver Stagnation geendet zu sein scheint. „This Must Be The Place“ ist ein sehr schräger Film, der selbst einem Thema wie Holocaust und Altnazi-Exilanten originelle Bilder abzugewinnen weiß. Es mag sein, dass mit dem Regisseur und Drehbuchautor Paolo Sorrentino („Il Divo“) an der einen oder anderen Stelle die Skurrilitätspferde durchgegangen sind, sodass insgesamt Artifizielles die Oberhand behält (vgl. Tim Burtons „Edward Scissorhands“). Allerdings steckt in „Artifizelles“ natürlich „Art“ drin, und kunstvoll ist dieses Roadmovie, das Langsames bis sehr Langsames gnadenlos zelebriert, ohne Zweifel. Zwar fällt es manchmal schwer, Penns überzogener Ozzy-Osbourne-Persiflage/Hommage Authentizität zuzusprechen, doch ist diese Tragikomödie mit dem eigentlich banalen Topos „Protagonist sucht und findet sich selbst“, nicht zuletzt aufgrund des immer wieder unglaublichen Verhaltens des Hauptcharakters (Stichwort „Tischtennis-Manöver“), entweder unterhaltsam, urkomisch, überraschend, seltsam, kryptisch, grotesk oder bewegend – hin und wieder sogar auch alles gleichzeitig. Zudem hat der vielseitige David Byrne, der den Soundtrack für diesen Film schrieb, einen hübschen Gastauftritt. Am Rande sei erwähnt, dass seine New-Wave-Funk-Band Talking Heads vor allem in den Achtzigern große Erfolge feierte und in dem eigenwilligen, ebenfalls empfehlenswerten Konzertfilm „Stop Making Sense“ von Jonathan Demme zu sehen ist.

 

Sean Penn, Frances McDormand, Judd Hirsch

Regisseur: Paolo Sorrentino

Freigegeben ab 16 Jahren

Erscheinungstermin DVD: 5. April 2012

Produktionsjahr: 2011

Spieldauer: 118 Minuten

 

Der Rezensent ist Autor und Illustrator. Zuletzt erschien von ihm "Alu" im Autumnus Verlag

 

Hoch

 

 

Nachtprogramm

Notte prima degli esami (Die Nacht vor dem Examen)

Von Carolin Kotsch

 

Luca Molinari (Nicolas Vaporidis) und seine Freunde stehen kurz vor dem Abitur und stecken deshalb mitten in den Vorbereitungen für die Prüfungen. Vom Prüfungsstress wird die Gruppe Jugendlicher jedoch von vielen anderen kleineren und größeren Problemen abgelenkt. Da geht es beispielsweise um die erste große Liebe, um erste Erfahrungen mit Drogen, aber auch um eine ungewollte Schwangerschaft.

Luca begegnet auf einer Party der wunderschönen Claudia (Christiana Capotondi), in die er sich auf der Stelle Hals über Kopf verliebt. Er kennt nur ihren Vornamen und macht sich durch ganz Rom auf die Suche nach ihr. Angestachelt wird er dabei durch viele zufällige kleine Begegnungen. Gleichzeitig hat er große Probleme mit seinem ungerechten und gemeinen Lehrer Prof. Antonio Martinelli (Giorgio Faletti). Der wird auch noch seine mündliche Prüfung abnehmen, was Luca aber noch nicht weiß, als er ihm so richtig die Meinung sagt. Zu diesem Zeitpunkt hat er auch noch keine Ahnung, dass dies einer Beziehung mit Claudia im Weg stehen könnte. Während er nun versucht, Claudia für sich zu gewinnen, merkt er gar  nicht, dass sich jemand aus seiner unmittelbaren Umgebung für ihn interessiert – ein perfektes Gefühlschaos. Nebenbei will er zusammen mit seinem Freund Riccardo (Eros Galbiati) die Prüfungsfragen stehlen, denn zum Lernen sind alle nicht so richtig gekommen. Da sind Schwierigkeiten vorprogrammiert. Zur gleichen Zeit betrügt Massi (Andrea De Rosa) seine Freundin Simona (Chiara Mastalli) mit deren Schwester Loredana (Eleonora Ceci). Dies bereut er jedoch zutiefst und verbringt die gesamte Nacht vor dem Examen auf den Kein hockend unter ihrem Fenster, um für seine Tat zu büßen und sie um Verzeihung zu bitten. Nach und nach gesellen sich die Freunde Luca, Riccardo und Alice (Sarah Maestri) dazu und harren mit ihm aus. Simona hat unterdessen noch viel größere Sorgen, als einen Freund, der sie betrogen hat.

Ein Mitglied der Gruppe wird gar nicht erst zur Prüfung zugelassen und entscheidet sich daraufhin die Schule abzubrechen und Rom zu verlassen.

Es gibt aber nicht nur Tränen und Traurigkeit, sondern auch jede Menge aufregende Sommertage mit wilden Spritztouren, jede Menge Eis und Überraschungen. Es ist ein turbulenter Sommer, der auch für den Zuschauer jede Menge Spaß bereithält.

Notte prima degli esami ist eine italienische Teenagerkomödie, die in den 80er Jahren in Rom spielt. Der Film von Fausto Brizzi basiert auf dem gleichnamigen Roman, der abwechselnd aus der Sicht von Claudia und Luca geschrieben ist.

Im Film wird die italienische Kultur zur Zeit der 80iger Jahre sehr anschaulich dargestellt. Es gibt viel zum Lachen, große Gefühle und viele bunte Episoden. Die Haupthandlung dreht sich zwar um den unbeschwerten Luca, aber auch die Geschichten der anderen Figuren werden ausführlich und aus deren Perspektive geschildert, sodass dem Zuschauer nie langweilig wird. Die Musik ist besonders während der emotionalen Stellen sehr passend gewählt und unterstreicht die Handlung auf angenehme Weise.

Der 2006 erschiene Film ist nicht nur etwas für junge Zuschauer, die sich mit ähnlichen Problemen plagen, sondern auch für diejenigen, die sich mit dieser Zeit identifizieren können. Melancholische Erinnerungen an die eigene unbeschwerte Schulzeit werden wach gerufen und regen zum Nachdenken und Innehalten an. Ein leicht verdaulicher und trotzdem gehaltvoller Film, den man am besten in einer kleinen Gruppe guckt, um sich später gemeinsame an ähnliche Erlebnisse zu erinnern.

Die Fortsetzung des Films Notte prima degli esami – oggi (Die Nacht vor dem Examen – heute) ist im Jahr 2007 erschienen. Die Hauptfigur Luca ist geblieben, die Handlung ist völlig neu und in die heutige Zeit versetzt. Den genauen Zeitrahmen bildet die Weltmeisterschaft in Deutschland im Jahr 2006. Die Prüfungen sind endlich geschafft und Luca versucht sich nun auf sein Studium zu konzentrieren. Leider bleibt es bei dem Versuch, denn schon bald ist er wieder bis über beide Ohren verliebt. Ob es ihm diesmal gelingt die Angebetete zu erobern, bleibt bis zuletzt spannend. Teil zwei ist beinahe noch besser gelungen als der erste Teil und absolut empfehlenswert.

Beide Filme wurden mit mehreren Preisen ausgezeichnet.

 

Italien (2006)

Comedy

Filmlänge: 100min

Regie: Fausto Brizzi

Drehbuch: Fausto Brizzi

 

Hoch

 

 

Weder sexistisch noch prüde - sondern natürlich

Marina Jenkner über die Entstehungsgeschichte ihres Films "Kurvendiskussion"

 

Kurzinhalt

Warum sind Dinge, mit denen man nicht gerechnet hat, plötzlich ganz logisch? Sind Frauen wirklich unberechenbar? Und gibt es etwas Erotischeres als eine Kurvendiskussion zu zweit? Ein Film über Körperbeobachtung und Mathematik, über Lust an Zahlen und Lust auf Sex.

Nach der preisgekrönten Kurzgeschichte „Kurvendiskussion“ von Marina Jenkner.

 

Sander und Annika lernen sich in der Uni kennen. Anfangs ist es nur ein Gespräch über Mathematik, doch dann werden die Glieder zweier Menschen zu Summen der Lust...

Es ist das erste Mal, dass Annika so schnell einen Mann mit zu sich nach Hause nimmt. Sagt sie jedenfalls. Und Sander stellt ihr doch nur eine ganz normale Frage.

Doch damit, dass Annika diese Frage mit „Nein“ beantwortet, hat er nicht gerechnet. Plötzlich eröffnen sich ihm ungeahnte Welten...

 

Zur Entstehung des Filmes

2008 war das Jahr der Mathematik. Das hätte ich wahrscheinlich nie erfahren, wenn nicht der Verlag STORIES & FRIENDS damals einen Wettbewerb dazu ausgeschrieben hätte. Literatur zum Thema Mathematik – beinahe wollte ich in Gedanken an mein nicht besonders gutes Matheabi abwinken, als mir die Tragweite der Welt der Zahlen bewusst wurde. Ich drehte zu dem Zeitpunkt nämlich gerade einen Dokumentarfilm über eine sichere natürliche Verhütungsmethode und mir wurde klar, dass dieses Thema, zu dem ich monatelang recherchiert hatte, auch nichts anderes war als Mathematik. So verfasste ich eine augenzwinkernde Geschichte über die erotische Seite der Mathematik... und belegte damit prompt den dritten Platz im Wettbewerb.

Eigentlich war die „Kurvendiskussion“ damit für mich abgeschlossen – sie war veröffentlicht, hatte einen Preis gewonnen und sorgte auf Lesungen regelmäßig für ein amüsiertes Publikum. Doch mein Kollege Christoph Müller, mit dem ich seit fast zehn Jahren zusammen Filme drehe, hatte die Idee die Geschichte zu verfilmen – auch als amüsanten Abschluss des Verhütungsthemas, das uns durch den gemeinsamen Dokumentarfilm so lange begleitet hatte.

Also adaptierte ich meine eigene Geschichte und wir suchten zwei Schauspieler, die bereit waren, einen Großteil des Filmes unbekleidet zu agieren. Nach einigem Suchen fanden wir Lisette Schwarz und Andreas Meyer – sie verstanden unser Anliegen, den Film so natürlich wie möglich zu inszenieren und dabei weder sexistisch noch prüde zu sein.

Nach zwei Drehtagen im Juni 2010 war der Film im Kasten. Wie meistens waren wir als Filmteam nur zu zweit, was uns gerade für die sehr intimen Szenen auch wichtig war. Mit zu viel Technik zerstört man leicht die Stimmung.

Mein Kollege Christoph Müller setzt das Licht und führt die Kamera, ich angele den Ton und kontrolliere die Dialoge. Regie führen wir gemeinsam, oft auch als kreativen Prozess, in dem die Schauspieler auch eigene Ideen einbringen oder Varianten anbieten können. Auch der Schnitt ist immer ein  gemeinsamer Prozess. Für die Filmmusik konnten wir dann noch Florian Schmitz gewinnen, der uns mit seiner Bassgitarre ein für Filmmusiken eher ungewöhnliches Instrument beschert hat.

 

„Kurvendiskussion“

Ein Kurzfilm von Marina Jenkner und Christoph Müller.
Nach einer preisgekrönten Kurzgeschichte von Marina Jenkner

Deutschland 2010 • 11,5 Minuten

 

Als DVD über Homepage www.marina-jenkner.de

(Menüpunkt: àFilme àKurzfilme) zu beziehen.

Die gleichnamige Kurzgeschichte ist in der Anthologie

„rätselhaft + wunderbar. Eine literarische Reise in die Welt der Zahlen"

Stories & Friends

ISBN 987-3-9811560-3-4

 

Hoch

 

 

Futter für Verschwörungstheoretiker

Jakob Steinschaden: "Phänomen Facebook"

Von Cay Meyer

 

Natürlich beschäftigt sich niemand ernsthaft mit einem Film über Facebook. Anders aber sieht es mit dem Buch über Facebook aus. Das lässt, schon weil es aus der Feder eines österreichischen Journalisten stammt, keine amerikanischen Schmonzettchen vermuten, sondern investigatives Rangehen. So ist es dann auch.

Für Außenstehende weckt das Thema Facebook zwei unbestimmte Gedanken. Das erste ist eine gigantische Ausspähmaschinerie, das andere eine durchgeknallte Gemeinde von Leuten, die sich irgendwie beim Kommunizieren nicht mehr in die Augen gucken wollen. Das Ganze wurde von einem Milchbubi entwickelt, der wahrscheinlich weniger innovativ und größenwahnsinnig ist, als man ihn beschreibt.

Wenn man sich Facebook und den Hintergründen wirklich nähern will, braucht man ein gewisses Wissen. Dafür ist dieses Buch ideal. Es ist von einem Autor, der sich lange mit den Gefahren, aber auch den Chancen auseinandergesetzt hat. Er entzaubert Facebook-Gründer Zuckerberg, und man fragt sich, ob er wirklich Herr über seine Firma ist oder ein Spielball anderer, größerer Interessen. Für Leute mit Verschwörungsängsten ist diese Buch nicht gerade beruhigend. Es sammelt die Kontakte vom Unternehmen Facebook, entwirrt sie und zeigt erschreckende Verbindungen auf. Ein bisschen social networking? Kontrolle und Macht über unbedarfte Privatmenschen!

Andererseits: Wer interessiert sich schon für das kleine Leben der Leute? Ein paar Werbeheinis vielelicht, um einen zuzuspammen. Auch nur ein Click, und weg sind sie. Stattdessen die Vorteile! Facebook ist einfach ein geniales Kommunikationsmittel. Und wo im Internet kommerzielle oder politische Kräfte sichtbar werden, haben sie schon verloren. Die Internetkarawane zieht dann weiter und sucht sich eine andere Oase. Ganze Diktaturen sind im Endeffekt an der Freiheit des Internets zugrundegegangen. Selbst in Saudi-Arabien hilft es, sich über restriktive Regeln einfach hinwegzusetzen.  

Facebook erzielt noch keine bedeutenden Umsätze und erst seit September 2009 erwirtschaftet es überhaupt Gewinne. 2004 gegründet, hat es eine halbe Milliarde Mitglieder. Zwei Milliarden Texte und Bilder werden täglich eingestellt. Doch es ist nicht mehr als eine ausgefeilte Technologie. Der Autor, Jacob Steinschaden, zitiert einen Wirtschaftler: "Die reale Macht, die realen Deals, die reale Wirtschaft, die passieren vollkommen woanders.“ Facebook sei Beschäftigungstherapie für die Masse.

Das Buch "Phänomen Facebook" bietet eine gute Übersicht über Funktionsweisen des sozialen Netzwerkes. Es weist auf die Gefahren hin und ist eine solide journalistische Leistung. Wer mitreden will, sollte es gelesen haben.

 

Jacob Steinschaden:

Phänomen Facebook. Wie eine Webseite unser Leben auf den Kopf stellt

Ueberreuter 2010

207 Seiten, Euro 19,95

ISBN 978-3800074884

 

Hoch

 

 

Akademikerin findet Job in Paralleluniversum oder

Das ganze Leben liegt vor dir

Von Iris Kersten

 

♪♫♪

I get around
Get around round round I get around
From town to town
Get around round round I get around
I'm a real cool head...♪♫♪
 

Rom: Kellner tanzen auf der Straße, Müllmänner vollführen eine Choreographie, alle Fahrgäste des Busses, in dem Marta sitzt, tanzen. Und schon springt der Funke über. Selbst der Zuschauer kann es spüren: Power, gute Laune, das ist das Leben. Hinzu kommt eine Stimme aus dem Off, die uns nun diese ungewöhnliche Begebenheit erklärt:

„Seit einiger Zeit passierte Marta Cortese etwas Merkwürdiges: Sie stellte sich vor, die Menschen würden ihren Arbeitstag mit einer fröhlichen Gemeinschaftschoreographie beginnen und in diesem Tagtraum schien ihr das Glück zum Greifen nah […] Noch konnte sie die Schritte dieses Tanzes nicht besonders gut. [...] Vielleicht lag das daran, dass man sie bei Multiple, wo sie endlich einen Nebenjob gefunden hatte, zum aller ersten Mal zum Tanzen aufgeforderte. [...] Marta hatte das Gefühl, endlich ihren Platz im Leben gefunden zu haben.“

Die Vorgeschichte ist nämlich die, dass Marta, eine gerade mit Summa cum laude promovierte Philosophieabsolventin, auf Jobsuche ist, ihr sich aber die gesamte Akademikerwelt verschlossen zu haben scheint. Frustriert entschließt sie sich, eine Pause bei der Arbeitssuche einzulegen und ihre krebskranke Mutter in Palermo zu besuchen. Diese, trotz Krankheit voller positiver Gedanken und Energien, ist es auch, die Marta Mut machen will und ihre Tochter darauf hinweist, dass ja schließlich noch das ganze Leben vor ihr liege. Zurück in der Hauptstadt muss Marta feststellen, dass ihr Mitbewohner ihr Zimmer untervermietet hat. Ohne Arbeit und ohne Wohnung sitzt sie ziellos in einer Metro, als ihr Lara ihr erstes Jobangebot in die Hand drückt: Einen Zettel mit einer Telefonnummer. Lara ist ca. 4 Jahre alt und ihre Mama Sonia sucht einen Babysitter für sie. Marta begreift, dass sie auf den Job angewiesen ist und greift zu. Zum Glück ist auch noch ein Zimmer bei den beiden frei. Außerdem besorgt Sonia der Philosophin einen Job als Telefonistin in dem Callcenter, wo auch sie selbst arbeitet.

Hier beginnt der Tag mit einem Motivationstanz und -gesang und einem Frage und Antwortspiel zwischen den Telefonistinnen und der schönheitsoperierten Abteilungsleiterin Daniela:

„Was seid ihr für Menschen?“

„Besondere!“

„Was macht ihr für eine Arbeit?“

„Besondere!“

 

Des Zuschauers erster Eindruck: Er hat es mit einer Sekte zu tun und die Nackenhaare stellen sich ihm zu Berge. Doch ganz klar erkennt sein Auge, es handelt sich um den Motivationsgesang in einem Callcenter. Das erzeugt zunächst einmal Irritation, aber auch ein Schmunzeln.

Die Aufgabe der Telefonistinnen ist es, ihre Gesprächspartner für einen Wasseraufbereiter mit 14 Funktionen zu begeistern, der leider völlig unnütz ist, denn das Wasser ist in Wirklichkeit von bester Qualität...

Marta hat ein Gespür für die Menschen auf der anderen Seite der Leitung. Ihr Vertrauen gewinnt sie leicht indem sie deren Wohnort googelt und sie dann in ein „Nachbarschftsgespräch“ verwickelt. Schnell steigt sie die Erfolgsleiter hoch und erntet das Vertrauen der Direktion, wird aber auch in Neid und Intrigen verwickelt.

Einmal hat Marta und somit auch der Zuschauer die Möglichkeit, bei einem Motivationstraining der Verkäufertruppe (alles Männer) zuzuschauen, das relativ aggressiv erscheint und noch mehr an eine Sekte erinnert. Nach diesem Schauspiel erklärt es die Dame aus dem Off so:

„Es war sozusagen wie ein Paralleluniversum, mit eigener Entstehungsgeschichte und eigenen Gesetzten.“  Wer gegen diese Gesetze verstößt, muss gehen.

Nach einiger Zeit hat Marta genug von der Gefühllosigkeit, mit der sie jeden Tag konfrontiert wird, und sie geht zu Giorgio, einem Gewerkschaftler, der schon immer versucht hat, Informationen über Multiple zu bekommen. Giorgio, der eigentlich helfen wollte, richtet jedoch nur Schaden an...

Das ganze Leben liegt vor dir. Was in den Ohren so positiv und erfrischend klingt, ist nach diesen 117 Filmminuten mit anderen Augen zu betrachten. Paolo Virzì inszeniert diese Satire über eine Gesellschaft, die der Jugend wenig Zukunftsmöglichkeiten bietet und in der jeder erbarmungslos seine eigenen Interessen verfolgt, in Form einer bittersüßen (Tragi)Komödie, dargestellt aus dem Blickwinkel Martas, gespielt von der wahrhaft überzeugenden Isabella Ragonese. Ein Film mit Tanz- und Gesangeinlagen, witzigen Persiflages, der nur so vor Leben sprüht, der einen aber ganz gewaltig ins Grübeln bringt. Hervorragend!

 

♪♫♪

Que sera, sera.
Whatever will be, will be.
The future's not ours to see.
Que sera, sera.
What will be, will be.
♪♫♪

 

Das ganze Leben liegt vor dir

117 Minuten

Regie: Paolo Virzì

Darsteller: Isabella Ragonese, Micaela Ramazotti, Sabrina Ferilli, Valerio Mastandrea

Komponist: Franco Piersanti

Studio: Euro Video

Erscheinungstermin: 28. Oktober 2010

Produktionsjahr: 2008

Sprache: Deutsch (Dolby Digital 2.0), Italienisch (Dolby Digital 2.0)

Bildseitenformat: 16:9 - 2.35:1

Freigegeben ab 12 Jahren

 

Hoch

 

 

Wir spielen Cowboys und Indianer

Avatar – Aufbruch nach Pandora

Von Julia Heuser

 

Das amerikanische große Blockbusterkino bedient sich gerne Geschichten die immer wieder erzählt werden. Eine davon ist die der Cowboys gegen die Indianer. Die Edlen Wilden gegen die meist imperialistischen Eroberer. „Avatar- Aufbruch nach Pandora“ erzählt eine moderne Pocahontasgeschichte mit ein bisschen „Der mit dem Wolf tanzt“ und einer Prise „Braveheart“.

Wir schreiben das Jahr 2154, die Menschheit hat es geschafft ihre eigenen natürlichen Ressourcen aufzubrauchen und begibt sich in die weiten des Alls, hin zu fremden Welten, um deren Schätze anzuzapfen. Auf dem fremden Mond Pandoras in einer für Menschen feindlichen Atmosphäre wird nach dem Rohstoff Unobtanium gesucht. Pandora wird jedoch bewohnt von den Ureinwohnern, dem Volk der Na’vi, das tief verbunden ist mit der Natur des Planeten und einer solchen Ausbeutung im Weg steht. Ein wissenschaftliches Projekt wird initiiert parallel zu der militärischen Überhandnahme, um eine diplomatische Lösung zu finden. Die Na’vi sollen umgesiedelt werden, da die größten Vorkommen der Bodenschätze sich direkt unter ihrer Wohnstätte befindet. So genannte Avatare, Klone aus menschlicher und Na’vi DNA werden gezüchtet, die per Gedankenübertragung von einem Team aus Wissenschaftlern und Ethnologen kontrolliert werden. Der Hauptprotagonist ist Jake Sully, ein querschnittsgelähmter Ex Marine, der den Platz seines verstorbenen Zwillingsbruders einnimmt auf Grund der biologischen Übereinstimmung und folgt der alten „Fish out of water“ Charakterentwicklung: Jemand wird in unbekannte Gewässer geworfen mit dem Kopf zuerst und muss lernen sich neu zu orientieren und in seinem Fall zu überleben. Durch ein mystisches Zeichen der Gottheit der Na’vi Eywa wird Jake Sully aufgenommen in die Gemeinschaft, um einerseits deren Gebräuche zu lernen und andererseits von ihnen studiert zu werden.

Fungiert er am Anfang des Filmes noch als Doppelagent, um die Schwachstellen der Na’vi auszukundschaften für den schießwütigen Militärteil der Operation Pandora, wird er bald umgedreht von der für ihn faszinierenden Lebensweise der Na’vi (und natürlich hat eine schöne Häuptlingstochter auch etwas damit zu tun). Jetzt geht es darum „sein“ Volk vor militärischen Übergriffen der ungeduldig gewordenen Befehlshaber zu schützen und die Besatzer zu vertreiben. In einer fulminanten Endschlacht, in der er schnell noch den Status eines Messias einnimmt, werden die amerikanischen Militärtruppen zurückgeschlagen und bis auf einige wenige Auserwählte vom Planeten Pandora verbannt und nach hause zurück transportiert.

James Camerons Avatar ist bis dato der erfolgreichste finanzielle Film, der seinen Vorgänger Titanic überholt mit 2, 667 Milliarden Dollar (Stand 21.03.10) Einspielergebnis. Technisch ist der Film das neuste vom Neuen. Extra modifizierte Kameras und noch nie da gewesene Special effects lassen allerorts Nerd- und Gameraugen aufleuchten. Schon 1994 hat die Arbeit mit einem 80seitigen Drehbuch angefangen, aber erst an diesem Punkt hat die Technologie aufgeschlossen mit Camerons Vision des Filmes. Trotz Proteste von seitens Cameron ist der Film mit 24 frames per Sekunde nicht vollständig ausgereift für die 3D Vorführung. Vor allen Dingen bei den actiongeladeneren Szenen (von denen es nicht wenige gibt) ist die permanente Unschärfe, die bei den Bewegungen entsteht, anstrengend für den Zuschauer. Die Brillen sind klobig und sehr empfindlich auf Berührungen, was allerdings eine lustige Unterhaltung sein kann, wenn der Film mal Längen haben sollte. Berührt man die Brille gibt es interessante, wenn auch ungewollte Farbergebnisse. In den ruhigen Episoden allerdings, in denen der Zuschauer in die magische illuminierte Welt Pandoras eingeführt wird, ist diese Technik atemberaubend atmosphärisch und zeichnet ein über Jahre ausgearbeitetes Bild einer fremden Welt, die, wie soll man das anders nennen: hübsch ist. Zu Recht haben die Macher des Filmes den Oscar für Cinematography bekommen, neben bester Kamera und besten Spezial Effekten.

Die Parallelen die Avatar zu der jetzigen Situation des amerikanischen Militärs zieht, sind zahlreich und nicht besonders subtil. James Cameron sah sich in der Kritik, dass sein Film „anti-amerikanisch“ sei, da die amerikanischen Militärtruppen von Rücksichtslosigkeit, fehlendem Respekt und Gier gekennzeichnet waren. Die Na’vi sind die Sympathieträger des Filmes und es gibt Bildvergleichen vom Angriff auf die Twin Towers mit der Szene als der Heimatbaum, die Wohnstätte der Na’vi zerstört wird. Cameron setzte sich dagegen zur Wehr, das sein Film anti-amerikanisch sei, sagte aber auch, das die Amerikaner das Gefühl nicht kennen würden, das Raketen auf ihrem Grund und Boden einschlagen würden, sondern nur wie es ist, auf den Abzug zu drücken. In China ging man sogar so weit, zu versuchen eine Zensur zu erwirken, da man auch dort groß angelegte Umsiedlungen vornimmt und man eine Inspiration für gewaltsame Gegenmaßnahmen der Betroffenen sah. Zwei Praktiken, die auch in der realen Welt aufeinander prallen werden vorgeführt. Einerseits die Vorliebe für einen militärisch und technologisch hoch entwickelten Militärapparats, der für die Schlacht konzipiert wurde und nur dort auch seine volle Effizienz entfalten kann. Und der Gedanke der Hearts and Minds Operationen, die seit der Kolonialzeit angewandt werden und nun modifiziert im Irakkrieg zu Einsatz kommen. Diese Operationen zielen darauf ab, den Aufständischen im Land zuzuhören und auf politisch vertretbare Forderungen diplomatisch einzugehen. Die Herzen und Köpfe der Bevölkerung zu gewinnen, indem man ihre Sicherheit zur Priorität macht, Infrastrukturen schafft, Schulen und Brunnen baut. Und somit die Grundlage der gewaltsamen Aktivisten zu unterlaufen, die auf die Unterstützung der Bevölkerung angewiesen ist. Die Amerikaner sind in einem Krieg gefangen, von dem sie nicht wissen, wie sie ihn kämpfen sollen, in denen ihnen ihre Hierarchie und technische Überlegenheit eher im Weg stehen, als ihnen hilft. Sie sind mit Gruppen von Aufständischen und Warlords konfrontiert, die teilweise keinerlei Agenda haben als den Status Quo des Chaos aufrecht zu erhalten. Es gibt nicht wie vielerorts gedacht eine breite Front an politisch und/oder religiös motivierter Aktivisten, sonder ein Chaos an Splittergruppen, die sich teilweise selber untereinander bekriegen. Auf diese Art von Krieg waren weder die Amerikaner zuhause noch das Militär vorbereitet.

Mit der Ernennung von David Petraeus im Jahre 2008 zum US Central Command, der den Nahen Osten abdeckt, ist eine Wandlung vorgegangen in der Vorgehensweise des amerikanischen Militärs. Als Princeton Absolvent, der sich mit den missglückten Hearts and Minds Operation in Vietnam auseinander gesetzt hat, scheint es, als hätte man den Mann für den Job gefunden. Sein Meinung nach sind „Aufstände die Kriege der Denker“ und die Formel 80% Diplomatie und 20% Militärische Aktivität hört sich nach friedlicheren Zeiten an. Zusammen mit John Nagl hat er ein neues Feldhandbuch (Nummer 3-24) entwickelt der Aufstandsbekämpfung, der Counterinsurgenies kurz COIN. Avatar knüpft an die Problematiken an: Wie viel Militär braucht man, um diplomatischen Boden zu schaffen, auf dem man Verhandeln kann? Wie ändern wir die Hierarchien, sodass jeder Fußsoldat ein „strategic corporal“ wird, der lernfähig ist und eigenständig denkt und handelt? Wie viel Training braucht man, um sich einer Kultur anzunähern, wenn man mittlerweile Starbucks in jedem Camp hat und die Soldaten teilweise nur neun Monate in einem Land bleiben, um dann in die nächste fremde Kultur geworfen zu werden? Wie kann das Militär Aufgaben erfüllen, die nicht in ihr Aufgabenfeld fallen, wie Polizeiarbeit und verstärktes Peacebuilding?

Im Film werden die beiden Herangehensweisen gegeneinander gestellt, um am Ende miteinander zu eskalieren. Als Kritik am jetzigen Militärgeschehen ist das leider zu kurzsichtig und reißerisch gedacht. Jeder Gegner der COIN Methoden, die gleichzeitig gefährlicher ist für die Truppen, da unvorhersagbar, darf sich diesen Film auf die Fahne schreiben und sagen, diese zwei Dinge können nicht miteinander funktionieren. Auch wenn das Endergebnis negativ ausfällt für die militärischen Streitkräfte. Es gibt keinen Konsens zwischen beiden Parteien, die von einander lernen könnten. Und leider hat die Waffenlobby, die aufrüstet für den Fall einer richtigen Schlacht und nicht zu einem Gespräch mit der Landesbevölkerung, daran auch sehr viel weniger zu verdienen.

Die optimale und versuchte Lösung, nämlich das beides miteinander vereinbart wird, bekommt keine Chance. Der Ex Marine verbindet nicht beide Kulturen miteinander, sondern verliert sich komplett in der der Na’vi. Mit mehr Glück als Verstand und seinem Status als etwas Besonderem, einem Auserwählten wird er von einer Rolle in die nächste gedrängt. Beide Kulturen haben einen starken Moralkodex und Ehrgefühl, auch wenn es bei den porträtierten Soldaten nicht so aussieht. Jake Sully wechselt nur den einen Kampf, gegen den anderen. Ein edlerer Kampf, ein archaischerer Kampf, aber dennoch ein Kampf. Ganz am Anfang sagt es seine Off Stimme selbst. „There is no such thing as an ex marine. You never loose the attitude. “

Einer der Gründe warum die Amerikaner in Vietnam und dem Irakkrieg ein solches Desaster erlebt haben, leitet sich aus der Unterschätzung des Willens und der Motivation der Bevölkerung ab, die es mit fremden Soldaten auf ihrem Grund und Boden zu tun haben. Wenn man für solche archaischen Begriffe wie Heimat, Religion und Überleben kämpft, ist das eine ungleich größere Motivation als die Inbesitznahme von Bodenschätzen. Zu Jake Sullys Motivation kommt noch die Identitätskrise, die er durchlebt in einer Kultur, in der er eine zweite Chance bekommt, sich zu definieren und die emotionale Bindung an seine Na’vi Frau. Zwar gibt es natürlich den übergeordneten Bogen des „edlen Kampfes“ der jedoch nur bedingt im Mittelpunkt steht und allzu patriotisch daherkommt. Allerdings muss man schon keinen einzigen melodramatischen Knochen im Leibe haben, um nicht doch Gänsehaut zu bekommen bei der epischen Endschlacht, die unterlegt ist mit der opulenten Filmmusik von James Horner, der schon für die Musik in „Titanic“ und „Alien“ gesorgt hat.

Sowohl das Militär im Film, wie auch das Militär in realen Kriegsschauplätzen wünscht sich eine einfache strategische Lösung für ihre Probleme. Und wenn sie feststellen, dass das nicht funktioniert und Krieg schon seit Jahrhunderten nicht mehr auf dem Reißbrett entworfen wird zwischen zwei sich gegenüberstehenden Heeren, wird die ganze Sache konfus und hässlich. Der Prozess der Kriegsführung in Pandora wird dadurch entschieden, dass die Verlierer auf einen anderen Planeten verbannt werden, Jahre von Flugzeit entfernt. Leider haben wir keine andere Welt in die der Verlierer verschifft werden kann. Wir müssen uns mit einer begnügen und das heißt, einem langwierigen, komplizierten Prozess entgegen zu sehen in der der Abzug des Militärs in weite Ferne rückt. Vielleicht werden wir davon etwas im zweiten Teil von Avatar sehen. Cameron hat angekündigt an einer Trilogie zu arbeiten.

 

"Avatar – Aufbruch nach Pandora"

162 Minuten

Regie: James Cameron

Darsteller: Sam Worthington, Zoë Saldaña, Sigourney Weaver, Stephen Lang, Michelle Rodriguez

Produzenten: James Cameron, Jon Landau

Studio: Twentieth Century Fox Entert.

Dolby Digital 5.1

Bildseitenformat: 16:9 - 1.78:1 

Sprache: Deutsch, Englisch

Untertitel: Deutsch, Englisch, Italienisch, Dänisch, Finnisch, Norwegisch, Schwedisch

Erscheinungstermin: 23. April 2010

Freigegeben ab 12

 

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Hiob, später

Die Coens spielen in „A serious man“ die Götter des amerikanischen Vorortdramas

Von Jan Fischer

 

Larry Gobnik ist kein schlechter Mensch, trotzdem wird sein Rasen jeden Tag ein Stück weniger. Der Nachbar, ein amerikanischer Goi, ein Ungläubiger, der ständig mit seinem Sohn Baseball spielt, mäht ihn einfach und nimmt ihn damit in  Besitz. So fängt Larrys Unglück aber erst an: Seine Frau, sein Haus, sein Auto, seine Kinder, seine Freunde, seine Verwandten, seine Studenten, seine Finanzen: Alles wird ganz plötzlich renitent,  alles hat sich gegen Larry verschworen. In seiner Not sucht Larry, ein gläubiger Jude zwar, aber auch ein Mathematikprofessor, einer, der eher an den exakten Beweis als an Gott glaubt, bei Rabbis und Anwälten Rat.

Die Geschichte von Hiob findet sich sowohl im Alten Testament als auch im Tanach, der hebräischen Bibel. Im Prinzip ist es die Geschichte einer Wette: Auf die Frage Gottes an Satan: „Hast du auf meinen Knecht Hiob geachtet? Seinesgleichen gibt es nicht auf der Erde, so untadelig und rechtschaffen, er fürchtet Gott und meidet das Böse.“ antwortet der Satan, Hiob sei nur solange fromm, wie er in angenehmen Verhältnissen lebe. Gott lässt den Verlust allen Besitzes Hiob zu sowie den plötzlichen Tod seiner zehn Kinder. Hiob nimmt die Schicksalsschläge an, ohne Gott zu verfluchen. Gott lässt daraufhin zu, dass Hiob ein bösartiges Geschwür „von der Fußsohle bis zum Scheitel“ bekommt. Obwohl ihn seine Frau nun auffordert, diesen Gott, der so etwas zulässt, zu verfluchen, bleibt Hiob bei seiner gottesfürchtigen Einstellung: „Nehmen wir das Gute an von Gott, sollen wir dann nicht auch das Böse annehmen?“

Die Coens transportieren diese Geschichte nun in einen amerikanischen Familienvorort der 70er Jahre, sie sind es, die als allmächtige Götter Larry Gobnik Stück für Stück alles wegnehmen, was sein Leben ausgemacht hat, fast wie aus reiner Bosheit, nur, um zu sehen, was passiert. Die Geschichte von Hiob ist – in der Bibel zumindest – ein Lehrstück: Die Prüfungen, sagt es, die Gott dir auferlegt, haben einen Sinn, auch wenn du ihn nicht immer erkennst. Am Ende bekommt Hiob doppelt so viel, wie er verloren hat. Ganz so funktioniert es bei den Coens natürlich nicht. Sie wildern nur an der Struktur und am Themenfeld der Hiobsgeschichte, und im Prinzip könnte man eine ganze Seminararbeit über die Parallelen verfassen: Hiob beispielsweise sucht Rat bei drei Freunden, vor  denen er beteuert, diese Bestrafung nicht verdient zu haben, Larry geht zu drei Rabbis und beklagt bei ihnen dasselbe. Larry trifft sich viermal mit seinem Anwalt, der Gott aus der ganzen Sache erstmal grundsätzlich herauslassen will. In der Hiobsgeschichte redet Elihu als "Anwalt Gottes" in vier Reden davon, dass der Mensch nicht das Recht hat, Gottes Wege zu beurteilen oder in Frage zu stellen. Am Ende der Hiobsgeschichte wendet sich Gott aus einem Gewitter an Hiob. In dem Augenblick, in dem Larry ins Illegale kippt, er, der, wie er beteuert, nie etwas Schlimmeres getan hat als einer Stripperin zugesehen, in diesem Augenblick zieht ein Tornado über die Stadt, und Larrys Arzt ruft an: Man müsse doch dringend mal über die Testergebnisse reden. 

Aber es bleibt ja nicht bei der Bibelgeschichte: Die Coens waren schon immer Spielkinder, die sich einfach Genres angeeignet haben, um sie wiederum mit anderen Genres zu kreuzen, oder sie einfach von hinten aufrollten, um die ganze Geschichte noch einmal zu erzählen, nur ganz anders: Wanderer in kulturellen Welten, immer auf dem schmalen Grat zwischen Autorenfilm und Popcornkino. Dann aber auch wieder besessene Geschichtenerzähler mit einem Faible für den schwarzen Humor. Das ist in "A serious man" nicht anders: Das amerikanische Vorortdrama, eigentlich schon ein Genre für sich, wird angereichert mit der Hiobgeschichte, dazu passend ein bisschen jüdische Kultur, vermischt mit den 70er Jahren, und das ganze wiederum konzipiert als ein Experiment, in dem Larry Gobnik die Ratte gibt.  Und erstaunlicherweise kommt eben kein Lehrstück dabei hinaus. Hiob mag standhaft sein, Larry bleibt es nicht. Gott mag gütig sein und am Ende alles aufklären, die Coens sind es nicht.

 

A serious man

101 Minuten

Regie: Joel Coen, Roger Deakins, Ethan Coen

Darsteller: Richard Kind, Allen Lewis Rickman, Sari Lenick, Yelena Shmulenson, Fred Melamed

Studio: Universal Pictures UK

Erscheinungstermin: 15. März 2010

Produktionsjahr: 2009

Bildseitenformat: 16:9 - 1.78:1

Freigegeben ab 15 Jahren

 

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Glück, eine Gabe zum Anfassen?

"Intacto": Ein Film von Juan Carlos Fresnadillo

Von Iris Kersten

 

Seit sechs Jahren kenne ich den Film nun, dass er uns aber ins „himmlische Jerusalem“ bringt, ist mir erst jetzt, beim genaueren Hinschauen, aufgefallen.

Samuel Berg, von allen nur „der Jude“ genannt, hat in Kriegsjahren als einziger einer Gruppe  eingesperrter Kinder das Konzentrationslager überlebt. Er besitzt die Gabe des Glücks: die Fähigkeit, anderen Menschen das Glück zu nehmen und es auf sich selbst zu ziehen.

Heute betreibt er ein Spielcasino in der Wüste Ocanca. Und dort ist es auch, wo unterirdisch ungewöhnliche Dinge geschehen. Im Labyrinth des Kellers spielt Samuel sein eigenes Glücksspiel: Russisches Roulette umgekehrt - fünf Kammern sind gefüllt, und eine ist leer. Er hat noch nie verloren. Wenn der Gegner stirbt, geht das Glück desjenigen auf „den Juden“ über.  Er ist der Mann mit dem meisten Glück auf der Welt.

Samuel hat einen einzigen Vertrauten: Federico. Auch Federico besitzt „die Gabe“. Von „dem Juden“ aufgezogen und trainiert, seine Fähigkeit an der richtigen Stelle einzusetzen – zum Beispiel dann, wenn im Casino ein Spieler eine Glückssträhne hat – leben die beiden wie Vater und Sohn. Als Federico sich entscheidet, Samuel zu verlassen, nimmt „der Jude“ seinem Ziehsohn die Gabe.

7 Jahre später: Federico arbeitet bei einer Versicherungsgesellschaft und ist auf der Suche nach einem „Glücksbegabten“, der ihm dabei helfen soll, Rache an Samuel zu üben: Er soll gegen „den Juden“ antreten und ihn dabei töten. Diesen Mann findet Federico in Tomás Sanz, einem Bankräuber und einzigem Überlebenden eines Flugzeugabsturzes. Nun gilt es, Tomás von seiner Gabe des Glücks zu überzeugen, denn dieser glaubt nicht so recht daran.

Tomás Sanz! Sanz kommt von „santo“ und bedeutet heilig. Der heilige Thomas, der nicht an die Auferstehung glauben wollte. Der Regisseur und Co-Autor Juan Carlos Fresnadillo hat „göttliche Spuren“ gelegt. Hier startet die Suche.

Was steckt hinter dem Namen Federico? Federico ist die spanische Form von Friedrich, der sich aus den althochdeutschen Wörtern „frid“ (Frieden) und „rîhhi“ (mächtig, Fürst) zusammensetzt. Und Friedensfürst ist ein Beiname, den Martin Luther Jesus gab.

Und genau dieses Verhältnis spiegeln die beiden wieder: Schüler und Meister (Jesus und sein Apostel). Mit den Augen Tomás', geführt von Federico, lernt auch der Zuschauer die geheime Unterwelt der Glücksspiele kennen. Tomás muss eine Reihe bizarrer Spiele durchlaufen, immer gegen Menschen mit der gleichen Gabe, um zum Schluss gegen den Glücksgott Samuel antreten zu dürfen.

Es wird nie um Geld gespielt, sondern um Häuser, Autos, Trophäen, Gemälde und zum Schluss sogar um Menschen.Die Spieler tragen dabei immer schwarze Augenbinden – ein Zeichen für deren geistige Blindheit. In einem der Spiele nehmen die „Begabten“ das Glück von sogenannten Gefangenen: Sie fotografieren diese und fangen so deren Glück in dem Foto ein (es geht danach auf den Besitzer des Fotos über). Dann umarmen und küssen sie ihre Opfer. So wie ein Vampir Blut saugt, entreißen die Spieler den Gefangenen das letzte Fünkchen Glück. Danach würfeln sie. Die höchste Zahl – das meiste Glück – gewinnt.

Zur gleichen Zeit verfolgt die Polizistin Sara Tomás wegen des Bankraubes. Infolgedessen kommt sie zufällig dem Spielerring auf die Spur. Auch Sara verfügt über die Glücksgabe. Nur scheint es in ihrem Fall keine Gabe sondern eher ein Fluch zu sein. Sie hat bei einem Autounfall ihren Mann und ihre Tochter verloren. Seitdem wird wird sie von Schuldgefühlen geplagt.

Wie schon erwähnt, findet Federico „seinen Rächer“ sieben Jahre nachdem Samuel ihm die Gabe genommen hat: Die Sieben ist die Addition von drei und vier, von Geistseele und Körper und stellt somit das Menschliche dar. In diesem Fall also Federico, der ohne die Glücksgabe wie jeder andere Mensch ist - in seinen Augen ein Niemand. Er ist einsam und fühlt sich fehl am Platz zwischen all den normalen Menschen. Um seinen Sieg gegen Samuel zu erringen, arbeitet er mit allen Mitteln: ohne Tomás' Wissen setzt er das Foto und damit das Glück dessen Freundin Ana ein (Ana kommt übrigens von Hanna. In der Bibel ist sie die erste, die nach der Ankunft Jesu die Nachricht von der Erlösung der Menschen verbreitet).

Einer von Tomás Gegenspielern ist Alejandro. Von diesem wird Tomás bei der vorletzten Etappe, einem Wettlauf mit verbundenen Augen durch einen Wald, besiegt. Der Sieger dieses Spiels darf „den Juden“ herausfordern. Alejandro macht sich auf nach Ocanca, um gegen Samuel zu spielen. Er ist jetzt im Besitz des Fotos von Ana.

Doch das Glück bleibt Alejandro nicht treu. Er verliert. Nach Alejandros Tod kann Federico Tomás überreden, gegen Samuel anzutreten, da es erstens auf der Glücksskala niemanden mehr zwischen Tomás und Samuel gibt, und zweitens „der Jude“ das Foto von Ana hat. Und es gibt nur eine Möglichkeit, diese zu retten: Gegen Samuel anzutreten und das Foto zurückzugewinnen.

„Der Jude“ bewertet die sentimentalen Beweggründe Tomás' mit Wohlwollen: „Noch niemand ist aus Liebe zu mir gekommen. Er hat sein Spiel verdient“. Die letzte Runde beginnt, als plötzlich die Polizistin Sara auf der Bildfläche erscheint.

Juan Carlos Fresnadillo platziert das Casino mit seinen labyrinthischen Kellergängen mitten in die Wüste. Die Wüste hat eine ambivalente Bedeutung: Einerseits ist es ein Ort der Verlassenheit und Gottesferne, an dem die Dämonen wohnen (wobei wir wieder bei den Vampiren wären), andererseits ist die Wüste der Ort, an dem Gott sich mit besonderer Intensität zeigt.

Der biblische Samuel ist der letzte von Gott eingesetzte Führer Israels. Samuel Berg, „der Jude“, spiegelt also Gott wieder. Federico sagt es sogar wörtlich, als er zu Tomás über Samuel spricht: „Weil er in diesem Spiel der Gott ist.“ Samuel aber wirkt wie ein Monster, so wie er um die Menschen spielt, um deren Glück in sich zu vereinen. Oder ist es nur der verzweifelte Versuch eines alten Mannes mit dem Fluch des Glücks, dem Leben und der Schuld des Überlebens zu entkommen?

Worauf will der Regisseur und Co-Autor hinaus? Die Interpretation überlasse ich jedem selbst. Fakt ist, dass es sich um einen etwas anderen Film mit einer bizarren, düsteren, aber dennoch stimmungsvollen Atmosphäre handelt, einem Fantasie-Thriller mit einem Hauch von David Lynch, in dem es vor Spannung knistert.

Der Rhythmus des Films ist langsam und bietet so dem Zuschauer die Möglichkeit, die tiefgründigen Szenen in der ganzen Komplexität zu (be)greifen. Fresnadillo kreiert einen Film, der ohne Spezialeffekte auskommt. Es sind vielmehr die psychologischen Konstruktionen und Andeutungen, die die Spannung erzeugen. Schritt für Schritt bekommt man einen Eindruck vom Gesamtbild. Darstellung und Wahl der Orte geben dem Zuschauer das Gefühl, in einer fremden Welt gelandet zu sein, einer Welt, die unter der Oberfläche der unseren existieren könnte.

In einer Rezension habe ich gelesen, dass Intacto als „filmisches Rubik's Cube“ (zu deutsch: Zauberwürfel) beschrieben wurde. Meiner Meinung nach ein perfekter Vergleich, denn genau so ist es: Man versucht mit angehaltenem Atem dem Film zu folgen, muss dann aber noch mal eine Kehrtwende machen, um ein schon gesichtetes Teilchen an den richtigen Platz zu drehen.

Zu guter Letzt das „himmlische Jerusalem“: Es ist das Sinnbild der erwarteten Endzeit, in der Gott unter seinem Volke wohnen wird. Es befindet sich im Zentrum des Labyrinths (ein Symbol menschlicher Schicksalswege), in diesem Fall in Samuels „Spielzimmer“ im Keller des Casinos. Nur hier kann die Entscheidung des letzten Spiels fallen. Niemand kann seinem Schicksal entgehen...

 

Intacto

Fantasie-Thriller, 104 Minuten

Regie: Juan Carlos Fresnadillo

Darsteller: Leonardo Sbaraglia, Eusebio Poncela, Mónica López

Komponist: Lucio Godoy

Studio: Kinowelt GmbH

Erscheinungstermin: 15. Juli 2004

Produktionsjahr: 2001

Sprache: Deutsch (Dolby Digital 5.1), Englisch (Dolby Digital 5.1)

Bildseitenformat: 16:9 - 2.35:1

Freigegeben ab 16 Jahren

 

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Kick off. Kick on

„Worst Case“: Ein Kurzfilm von Bernd Schaarmann

Von Edgar Hohenwiehe

 

Ich bin der, der schon mal in einer Firma gearbeitet hat. Mit Mitte zwanzig so was schon! Alle haben mich gewarnt und gesagt, nicht zu früh an dieser Scheiße riechen. Ich tat es, nun bin ich aber wieder draußen. Wie kann man davon berichten?

Ich wusste es nicht. Dann sah ich den Kurzfilm „Worst Case“. Er enthält die Details, für die man kaum Worte findet.

Die Praktikanten, die ausgebeutet und angepasst werden, die Menschen, deren Persönlichkeit bedeutungslos ist, die –und das in der kreativen Werbebranche- funktionierende Roboter zu sein haben, die innerlich Ausgeräumten, die innerlich Ausgeräumtes an eine Menge an Leuten transportieren, die damit auch um ihr letztes Fünkchen Individualität gebracht werden sollen. In der Welt, die dabei herausgekommen ist, ist niemand von den ‚Machern’ für irgendetwas verantwortlich. Die Ergebnisse sind allen egal, bis auf irgendeinen Schönling, der das dann „worst case“ nennt.

Zuerst denkt man bei dem Film: das ist doch Achtzigerjahre-Witz. Okay, Werbebranche, Marketing-Geschwätz, Americanhohl-Sprache. Aber hier geht es doch mitten ins Herz der Gegenwart. Hier sind die Brüche bei allen schon spürbar, sinnbildlich eine ausgequetschte Sushi-Rolle.

"Worts Case" von Bernd Schaarmann ist von der Regie und von Schauspielern her besonders gut gemacht. Während der sieben Minuten Glitzerwelt changieren die Gefühle des Zuschauers zwischen amüsiert und angewidert. Der Film bleibt haften.

Auch, weil er dieses Bittere so sehr trifft:  Die miesen Witze über die Menschenmatschmaschinerie berühren die Arbeitswelt gar nicht. Die machen in ihrer Denk- und Sprachsektiererei einfach weiter, klammern den Rest des Lebens aus und wollen alle bekehren zu Kommerzleere.

Was für uns nur noch blöd ist, ist da drinnen deren echter Ernst. Die da, die bekommen auch noch das Gefühl, sie bestimmten die Welt, wenn ihr Scheingebilde wie beim Bankencrash zusammenbricht und die grauen Konsumenten da draußen gezwungen werden, sie zu stützen. Jeder gesundes Menschenverstand bleibt vor der Tür in dieser abgeschotteten Schwachsinnsarbeitswelt. Jede Kulturstufe bleibt vor der Tür.

Ich habe es erlebt. Und mit dem Film „Wort Case“ nochmal durchlebt. Spart Euch alles, seht nur den Film.

 

Worst Case, Kurzfilm

Comedy, 7 Minuten

Regie: Bernd Schaarmann

Darsteller: Haydar Zorlu, Imke Brügger, Nils Julius, Dörte Freund, Daniela Gnädig

Schnitt: Rainer Nelissen

Kamera: Philipp Pfeiffer

Produktion: Marco Herten

Musik: Stefan Ziethen

Drehbuch: Klaus Gieraths

 

Zu sehen unter: www.indie-stars.de

 

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Glitzernd und von hoher moralischer Integrität

Die Twilight-Filme fügen dem Vampirfilm etwas Neues hinzu. Ob es sich hält, ist eine andere Frage.

Von Jan Fischer

 

Sonne geht auf, schöne Frau ist tot, der Vampir ein Häufchen Staub: Der Vampir an sich ist eher ein dunkles Wesen, eines, das sich gerne mal dunkel kleidet und vor allem den Tag scheut, genau, wie er ein Wesen ist, das mit Sex quasi bis zur Oberkante aufgeladen ist. Schon in Murnaus 1922er „Nosferatu“ muss Ellen ihr unschuldiges Blut und damit sich selbst opfern, um den Vampir bis zum ersten Sonnenstrahl hinzuhalten, damit Schlimmeres von der fiktiven norddeutschen Stadt Wisborg abgewendet wird.  

Zwischen 1922 und 2009 ist nun im Film sehr viel mit dem Vampirmythos passiert: Die Vampire wurden – im Gegensatz zu Murnaus Graf Orlok – sukzessive jünger und gutaussehender, traten mal im Rudel auf, mal nicht, kamen mal aus dem Weltraum, mal aus den Tiefen der Karpaten, mal aus den DNS-manipulierenden Geheimlaboren, waren mal mutiert und mal nicht, waren meistens böse, oft auch aber ganz ok, trieben ihr Unwesen so ziemlich überall, und mussten für alles zwischen Porno und Arthaus herhalten.

Aber selbst „Buffy – im Bann der Dämonen“ und ihr Spin-off „Angel – Jäger der Finsternis“, zwei Serien, die mit vielen Traditonen des Genres brachen oder sie doppelbödig- ironisch verwursteten, brachen nicht mit diesen zwei Grundfesten des Vampirmythos: Tageslicht ist tödlich. Vampire sind Sex, vor allem wenn sie beißen, aber auch so.

Es ist über die Twilight-Filme „Bis(s) zum Morgengrauen“ und „Bis(s) zur Mittagsstunde“ viel geschrieben worden, vor allem die Vergleiche „Seifenoper“ und „Telenovela“ tauchen oft auf, auf die „Instinkte der Zielgruppe“ würde gesetzt, wobei die Zielgruppe hauptsächlich junge Mädchen seien, kein Klischee würde ausgelassen. Kaum ein Rezensent erspart sich das Wort „blutleer“. Nun ja, was soll man sagen? Die Vampire hatten ihre Heimat schon immer eher im Verkäuflichen als in dem, was die Rezensenten zu allen gegebenen Zeiten mochten. Und wenn man sich die Kartenverkaufszahlen der beiden ersten Filme der Twilight-Saga anschaut, kann man nur sagen: Klassenziel erreicht. Wer sich da über einen löchrigen Plot, Klischees oder Allzuschmalziges aufregt, hat was nicht verstanden.

Viele Rezensenten erkennen auch die Sexlosigkeit des Films, die Idee der Enthaltsamkeit, die hinter der ganzen Handlung steckt: Bella will ein Vampir werden, will endlich gebissen werden, aber für mehr als ein Küsschen reichen die moralischen Bedenken von Edward Cullen, Bellas Vampir der Wahl, nicht aus. Das ist nun doppelt paradox: Einerseits ist Edward Cullen Vampir in bester Tradition aller gutaussehenden Jungvampire und müsste über ihm dargebotene zarte Mädchenhälse nur so herfallen wollen, andererseits ist Robert Pattinson, der Darsteller des Edward Cullen, in allen einschlägigen Magazinen als Sexsymbol hergestellt worden. Cullen aber ist „Vegetarier“, und als solcher beißt er keine Menschen mehr. Das ist die eine Neuerung: Nicht der – im weitesten Sinne - vegetarische Vampir, den gab es bei „Buffy“ auch schon, auch nicht der sexlose Vampir, der ist zum Beispiel bei Anne Rice ganz beliebt, aber der Vampir, der weder beißt noch Sex hat, der ist neu. Noch dazu kommt, dass in der Twilight-Saga das Tageslicht für Vampire keinerlei Bedrohung für Leib und Leben darstellt. Sie glitzern einfach nur recht hübsch. Das veranlasste Rezensenten dazu, die Twilight-Saga als eine Serie von harmlos-zeitgeistkompatiblen Mädchenfilmen abzustempeln,  mit glitzernden Vampiren von hoher moralischer Integrität, die sich im zur Zeit modischen Pop-Paradox „sexy ohne Sex“ herumtreiben. Im gleichen Atemzug trauern die Rezensenten ihren althergebrachten dunklen Vampiren nach, ohne zu erkennen, dass hier dem Vampirmythos etwas grundsätzlich Neues hinzugefügt wird, das – zugegeben – dem Reiz der Vampire viel nimmt, aber trotzdem neu ist, sogar die letzten beiden Grundfesten des Vampirmythos ins Wanken bringt. Mit den Twilight-Filmen ist etwas in die alte Welt der Vampire gekommen, es ist neu, und es ist da und wartet darauf, dass jemand damit weiter arbeitet. Ob das passiert oder nicht, wird die Zeit zeigen.

 

"Twilight: New Moon "Bis(s) zum Morgengrauen",  "Bis(s) zur Mittagsstunde"

117 Minuten

Regie: Catherine Hardwicke

Darsteller: Kristen Stewart, Robert Pattinson, Taylor Lautner, Michael Welch, Justin Chon

Studio: Concorde Video

Dolby Digital 5.1, DTS 5.1

Bildseitenformat: 16:9 - 1.77:1 

Freigegeben ab 12

 

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My super sweet Regierungszeit

Sofia Coppolas „Marie Antoinette“ erkundet die Abgründe des Teenagerlebens

Von Jan Fischer

 

Das erste Bild von Sofia Coppolas „Marie Antoinette“ zeigt die Königin, die zwischen rosa Kuchen in einem rosa Kleid auf einem Fauteuil herumlümmelt, Spaßpunk setzt als Hintergrundmusik ein. Als Marie Antoinette Ludwig XVI. heiratete, war sie 15. Als sie Königin wurde, war sie 19. Sie tat, was jeder vernünftige Teenager in ihrer Situation getan hätte: Ihr Leben wurde eine gigantische Party. Sie betrog ihren Mann, spielte, rauchte und hatte eine Vorliebe für Maskenbälle, extravagante Frisuren, Kleider und Schuhe.

So zumindest zeigt es Sofia Coppola, die sich, was die inhaltlichen Aspekte des Films angeht, genau an historische Vorgaben hält: Die erdrückende Etikette und die Gerüchteküche des Versailler Hofes, die Mätressen des Königs, die politische Situation. Das alles ist da. Aber darum geht es nicht, es liefert nur das Hintergrundrauschen zu Marie Antoinettes Teenagereskapaden, für die der Versailler Hof einerseits der perfekte Platz ist, und andererseits der tödlichste.

Das spannende an dem Film ist nicht das Leben der Königin, das zur Genüge und immergleich verwurstet ist. Das spannende sind die Bilder, die Sofia Coppola im Leben der Marie Antoinette findet, die vollkommen zeitlos sind, die zeitweise aussehen, als hätte man gerade aus Versehen auf MTV umgeschaltet und sähe die Sendung „My super sweet sixteen“, in der Teenager mit massenweise Geld ausgestattet werden, um ihren 16 Geburtstag zu feiern. Auf einem Maskenball lässt Coppola das Menuet zu Punkmusik tanzen. Es könnte auch ein Mottofest irgendeiner New Yorker Bohéme sein. „Marie Antoinette“ ist ein Film, bei dem man ##zeitweise gar nicht weiß, ob man jetzt in einem Postpunkteeniedrama oder in einem Historienschinken gelandet ist. Damit wird der Versailler Hof zu einer ständig zerfallenden Zwischenstation, zu einer flüchtigen Party im Schutzraum, einer Station zwischen der gemütlichen Kindheit und dem Eintritt ins Erwachsenenalter.

So transzendiert Coppola das Historiendrama zu einem Teenie-Film, zu einem Coming of Age-Film, in dem die Etikette der Versailler Hofes zu den Vorgaben ridiger Eltern werden, die Gerüchteküche zum hysterisierten Wer-mit-wem-Gebrabbel, bei dem jeder immer Angst hat zu kurz zu kommen. Dass dort draußen eine Revolution stattfindet? Geschenkt. Nur ein Vehikel für die herannahende, unvermeidliche Katastrophe des Erwachsenenlebens, denn das ist es, was Coppola Marie Antoinettes Tod auf dem Schaffott bedeutet: Nichts als den Tod des Teenagers, den endgültigen Eintritt in das Erwachsenenleben. Die Königin ist tot. Es lebe die Königin.

 

Marie-Antoinette

Drama, 118 Minuten

Regie: Sofia Coppola

Darsteller: Kirsten Dunst, Jason Schwartzman, Rip Torn

Studio: Sony Pictures Home Entertainment

Dolby Digital 5.1

Bildseitenformat:16:9 - 1.77:1

Freigegeben ohne Altersbeschränkung

 

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