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Sinn für Schwarzen Humor

Leopold Maurer: Mann am Mars

Von Carolin Kotsch

 

Der erste Mann auf dem Mond erinnert äußerlich irgendwie an John Lennon und hat eine Mission – er soll das Marsgestein beobachten. Dabei steht ihm die Schildkröte Darwin zur Seite. Darwin hat zu jedem Thema einen Spruch parat und vergleicht absolut alles mit einem Kreisverkehr. Die erste aufregende Entdeckung ist Gott, der angeblich hinter einem Marsfelsen sitzt. Der Gottesbeweis misslingt jedoch. Dann sollen die beiden Raumfahrer eine Tankstelle betreiben, die regelmäßig von außerirdischen Lebensformen frequentiert wird, sodass bald das Benzin zur Neige geht. Darwin muss sich nun auf die Suche nach dem verlegten Raumschiff machen, um Nachschub zu besorgen. Dabei kann die Schildkröte nicht ihr großes Bedürfnis nach körperlicher Nähe unterdrücken und schreckt auch nicht vor Steinen zurück. Das wird ihm schließlich zum Verhängnis. Unterdessen wird der erste Mann auf dem Mond von Wahnvorstellungen geplagt. Die Wahnvorstellungen bestehen auf der einen Seite aus  einem seiner Kollegen, der als Frau verkleidet ist und auf der anderen Seite aus seinem kriegsfanatischen Großvater. Als sich diese beiden Wahnvorstellungen zu streiten beginnen, verzweifelt der erste Mann auf dem Mond vollends.

Die Mission endet überraschend in einem realen Kreisverkehr auf der Erde und lässt einige Fragen unbeantwortet.

Leopold Maurer, der für die Darstellung von Absurditäten bereits durch seine erste Veröffentlichung bekannt ist, widmet sich in seiner Graphic Novel wichtigen und weniger wichtigen Fragen des Lebens. Dabei geht er mit viel Witz und Ironie vor. Er lässt den Protagonisten seines Werks, welches eindeutig an Leser im Erwachsenenalter gerichtet ist, in häufigen Monologen philosophische Reflexionen anstellen und wirft dabei einen kritischen Blick auf die heutige Gesellschaft und menschliche Eigenarten. Auch die Wissenschaft wird nicht verschont und wird gehörig auf die Schippe genommen.

„Mann am Mars“ ist im Jahr 2011 im Wiener Luftschachtverlag erschienen und gefällt all denen, die Graphic Novel mögen und Sinn für Schwarzen Humor und Ironie haben.

 

Leopold Maurer: Mann am Mars

Luftschacht Verlag 2011

80 Seiten, 18,50 Euro

ISBN 978-3902373687

 

Hoch

 

 

Zurück zu den Wurzeln

Die Vampir-Comic-Saga „D“ feiert die Wurzeln des Vampirmythos

von Jan Fischer

 

Vampire gibt es im Moment in allen Geschmacksrichtungen: Von den eher mit Einhörnern verwandten Glitzerwesen in „Twilight“ bis zu den sexuell hyperaktiven Protagonisten der Fernsehserie „True Blood“: Es ist für jeden etwas dabei. Dass da die Comics nicht hintenan stehen können, ist klar: Frisch im Splitter-Verlag erschienen ist „Lord Faureston“, der erste Band der dreiteiligen Vampir-Saga „D“, eine Übersetzung aus dem Französischen.

England: Die Große Zeit des Empires, die große Zeit der Entdecker: Richard Drake kehrt von einer Expedition aus Afrika zurück, und gleich auf seiner ersten gesellschaftlichen Zusammenkunft, einem Ball im Haus einer adligen Familie, schnappt Lord Faureston ihm Lady Congton - die Frau, mit der er gerade noch getanzt hat - vor der Nase weg und geht mit ihr im Park spazieren. Ein Diener stiehlt das Silberbesteck, ist aber gleichzeitig auch ein selbsternannter Vampirjäger, der versucht, im Park Lady Covington zu pfählen. Drake verhindert das, und die Tragödie nimmt ihren Lauf.

„D“ spielt in genau der Zeit, in der der Vampirmythos, wie wir ihn kennen, verwurzelt ist: Die dunkle, englische Phase der Romantik, die so voller Rosen, Blut und gotischen Kathedralen steckt, die Zeit, in der Bram Stokers „Dracula“ das Licht der Welt erblickt.

Dementsprechend ist auch „D“ kein Actioncomic – die Vorfälle müssen erst einmal in verrauchten Clubs bei Zigarren und Whisky debattiert werden, exzentrische Dandy-Schriftsteller müssen auftauchen, Intrigen müssen gesponnen und ausgeführt werden, Menschen müssen sich ver- und wieder entlieben. Die Vampirjagd wird dabei fast zur Nebensache. „D“ ist brutal langsam erzählt, und dabei sehr textlastig – gleichzeitig aber schnell und unvermittelt geschnitten, eine Kombination, bei der man konzentriert mitlesen muss, wenn man nichts verpassen will.

Im Gegensatz zu gegenwärtigen Neuerfindungen des Vampirmythos, ist „D“ seine Rückführung auf den Ursprung, auf die große Zeit des Dracula, und versucht gar nicht erst, sich auf die Gegenwart zu setzen und damit irgendwas zu beweisen. Natürlich, die Sache mit Richard Drake, dem bärbeißigen und beschnurrbarteten Entdecker ist ein eigener Dreh – ansonsten aber feiert „D“ die Wurzeln des Vampirmythos einmal mehr ab, solide gezeichnet, solide getextet, und mit der Geschichte der Vampire im Hinterkopf. Kein brillanter Comic, der alles umwirft, der die Vampire komplett neu erfindet, aber das gab es ja auch ziemlich oft in letzter Zeit. Dann lieber mal wieder in der Zeit zurückreisen, und über die Ursprünge wieder einmal neu entdecken.

 

"D"

Bd. 1: Lord Faureston

62 Seiten, Euro 13,80

Splitter Verlag 2010

ISBN: 978-3868691528

 

Hoch

 

 

Eine europäische Sicht auf ein asiatisches Thema

Kai Meyer, Yann Krehl, Ralf Schlüter, Horst Gotta und Dirk Schulz: Das Wolkenvolk - Seide und Schwert

Von Steffen Wunder

 

Seit 250 Jahren schwebt ein Volk auf einer Wolkeninsel über die Kontinente. Spezielle Pumpen leiten den Äther aus Regionen jenseits des Himmels in die Wolken, die dadurch ihre Stabilität erlangen. Doch wie diese Pumpen funktionieren, weiß keiner. Dieses Wissen ist in Vergessenheit geraten. Eines Tages setzen die Pumpen aus und es wird Äther, der Atem der Drachen, benötigt, um sie wieder in Gang zu bringen. Es trifft sich gut, dass sich die Wolkeninsel gerade über China, dem Land der Drachen, befindet. Der Einzige, der die irdischen Sprachen beherrscht, ist Niccolo, der Sohn eines tödlich verunglückten Ausgestoßenen. Daher wird er von Herzog Jacopo Medici ausgewählt, um den benötigten Äther zu bringen.

Der erste Erdenmensch, dem Niccolo begegnet, ist die Schwertmeisterin Wisperwind, die ihm das Leben rettet. Nachdem sie ihn ein Stück begleitet hat, begegnet Niccolo in einer Stadt Nugua, einem Mädchen, das unter Drachen aufgewachsen ist, und Feiqling, einem Menschen im Drachenkostüm, das er aufgrund eines Fluches nicht ausziehen kann. Zu dritt machen sie sich auf die Suche nach dem Drachenatem. Unterwegs bekommen sie Xian zu Gesicht: Menschen, die zu geheimnisvollen, unsterblichen Wesen aufgestiegen sind. Sie kämpfen gegen Mondkind, ein schönes Mädchen, das fast eine Xian geworden wäre, aber kurz vor dem Ziel vom Äther ergriffen wurde. Dieser ist nämlich nicht nur Substanz, sondern besitzt auch einen bösartigen Charakter.

Schon an der Handlungszusammenfassung erkennt man, dass die Geschichte nicht gerade unkompliziert ist. In der Tat besitzt sie viel an äußerer Handlung. In Bezug auf die gesamte Trilogie wurden 1200 Seiten der Romanvorlage von Kai Meyer auf knapp 400 Comicseiten zusammengefasst. Auch die vielen Zusammenhänge der fantastischen Welt sind bei einem einmaligen Lesen schwer verständlich. Doch gerade das macht diese Geschichte anspruchsvoll. Es wird eine Zauberwelt mit magischen Orten, Göttern, Dämonen und anderen Fabelwesen geschaffen, die trotz ihres Fantasiecharakters in sich logisch ist. Diese traumhafte Stimmung ist die größte Stärke des Comics. Man ist von Anfang an mittendrin und bekommt ein Gespür für sie.

Die Handlung bleibt immer spannend. Immer wieder treffen die Helden während ihrer Odyssee auf neue Freunde und Feinde, die einen weiteren Stein ins Rollen bringen. Einen europäischen Hauptcharakter zu wählen, war eine gute Entscheidung Kai Meyers. Einerseits muss ihm somit viel an Informationsgehalt über das alte China von außen vermittelt werden, andererseits ist er ein Identifikationspunkt für den europäischen Leser. Der Protagonist ist sympathisch angelegt. Er hat Stärken, aber auch Schwächen, und er handelt nicht aus Eigennutz, sondern für sein gesamtes Volk. Auch die anderen Figuren sind interessant. Oft kann man sie nicht von Anfang an in ein Gut-Böse-Schema stecken. Man weiß nicht immer sofort, wer sie sind; sie haben durchaus Geheimnisse. Das macht sie interessant, weil man weiß, dass es noch mehr über sie zu erfahren gibt.

Stilistisch gesehen gibt es nichts zu bemängeln. Die sichtbar mühevoll gezeichneten Bilder machen die fantastische Welt spürbar. Man fragt sich vielleicht, warum dieses asiatische Thema kein Manga geworden ist. Die Erklärung findet man im Nachwort: Der Comic würde dadurch vorgeben etwas zu sein, das er nicht ist, denn genau wie seine Romanvorlage ist er eine europäische Sicht auf ein asiatisches Thema. Und darin zeigt sich eine Spannung zwischen Fremden und Vertrauten, mit der man in der abenteuerlichen Geschichte versinken kann, ohne sich zu verlieren.

 

Seide und Schwert. Wolkenvolk, Band 1 von 6

Splitter Verlag 2010

72 Seiten, 15,80 Euro

ISBN 978-3-940864-95-2

 

Hoch

 

 

Im Zwielicht der nordamerikanischen Wälder

„Der letzte Mohikaner“ des französischen Comiczeichners Cromwell entdeckt Fenimores archaische Dunkelheit

Von Jan Fischer

 

Man muss, nachdem man die Comicadaption  von Catmalou und Cromwell gelesen – mehr angeschaut – hat, James Fenimore Coopers „Der letzte Mohikaner“ noch einmal lesen, um zu verstehen, was da passiert ist.

Fenimores Roman zielt hoch: Ein Wälzer, ein riesiges, unhandliches Ding, Fenimore lässt viele der Kapitel mit Shakespeare-Zitaten beginnen, nur damit klar ist, woher er seine Sprache nimmt, die immer zwischen zeitgemäß-affektiert und  - wenn die Figuren sprechen – archaisch vor sich hinvagabundiert. Von Spannung kann man eigentlich kaum sprechen, obwohl „Der letzte Mohikaner“ eine durchaus nicht unspannende Geschichte hat, in der zwei Frauen zwischen die Fronten des Englisch-Französischen Krieges um die Vorherrschaft in Nordamerika geraten. Nur wird die Spannung bei Fenimore erstickt durch endlose Reflektionen, und seine brachial-sperrige Sprache: Es ist mehr eine Abhandlung über den Kolonialkrieg mit ein paar Figuren drin, als ein Wildwest-Indianer-Roman, und bezieht seinen Reiz nicht aus seiner Schnelligkeit, oder seinen Bildern, sondern aus Fenimores eleganter Gentleman-Sprache, die vor einer undurchschaubaren Düsternis aus den spärlichen Bildern. Kurz: „Der letzte Mohikaner“ ist kein Stoff, aus dem man einen traditionellen Comic machen könnte, es sei denn, man kürzt es –wie die meisten Verfilmungen des Stoffes das tun – auf ein paar Actionszenen, und belässt es dabei.

Nun ist der Franzose Didier David, als Zeichner bekannt unter dem Namen Cromwell, niemand, der sich in solche Schlampereien verwickeln ließe, außerdem auch als einer, der immer gerne größer denkt, dem für seine Comic eine enorme stilistische Bandbreite zur Verfügung steht: Cromwell ist einer, der immer gerne ikonoklastisch denkt, wenn man so will. Nicht, dass er es – zusammen mit der Texterin Catmalou – gewagt hätte, Fenimores epischen Roman direkt in einen Comic umzusetzen. „Der letzte Mohikaner“ der beiden funktioniert eher andersrum: Wenig Text, viele, großformatige Bilder, die sich schon gar nicht mehr als Comic-Panels bezeichnen lassen: Es sind Ölgemälde, irre, dynamische Striche, in denen die Figuren kaum unterscheidbar sind, mit dem grünen, wuchernden Hintergrund der nordamerikanischen Wildnis zu verschmelzen scheinen: Jede Seite ist ein kleines Kunstwerk für sich, manchmal fast schon ein Schlachtengemälde im Stil alter Meister, manchmal seitenweise ohne Text, immer nur von kleinen, pointierten Textschnipseln unterbrochen, die nicht die eigentliche Handlung transportieren.

Cromwell und Catmalou entdecken Fenimores Roman nicht neu – aber sie entdecken, im Gegensatz zu den vielen Klassiker-Adaptionen des Stoffes, die auf dem Markt sind – Fenimores archaische Düsternis, und Cromwell setzt sie in Bilder um, die ihr voll und ganz gerecht werden. „ Der letzte Mohikaner“ von Cromwell und Catmalou ist kein Comic, den man liest – es ist einer, den man betrachtet, als stünde man in einer Galerie, ein Comic, den man mehr fühlt, als versteht.

 

Cromwell: Der letzte Mohikaner

Splitter Verlag 2010

144 Seiten, 19,80 Euro

ISBN 978-3868690996

 

Hoch

 

 

Dazuerfunden wurde sehr wenig

Harm Bengen: Störtebeker:  "De leeven Gods Fründ un aller Welts Feind"

Von Steffen Wunder

 

Dieser Comic erzählt das Leben von Klaus Störtebeker. Er beginnt mit einem fiktiven Prolog, der erklärt, wie es dazu kam, dass er Seeräuber wurde, beschreibt seine Piratenabenteuer und endet schließlich mit seiner Hinrichtung. Wer hier eine spannende und interessante Abenteuergeschichte erwartet, die dennoch Tiefgang hat, irrt allerdings. Denn das ist dieser Comic keinesfalls. Was er ist, steht auf dem Buchrücken: „Harm Bengens Störtebeker ist kein Comic im herkömmlichen Sinne. Es ist vielmehr ein Skizzenbuch des Lebens des bekanntesten deutschen Piraten, wie es verlaufen sein könnte oder tatsächlich verlaufen ist.“ Das klingt nach etwas Außergewöhnlichen. Und das ist es ohne Frage. Aber ist dieser Versuch auch gelungen?

 

Harm Bengens „Störtebeker“ hat durchaus gute Ansätze. Sowohl der Stil als auch die Platzierung der Bilder sind perfekt. Im Anhang findet man ein Interview mit Bengen, in dem er erklärt, wie dieser Comic entstanden ist: Er besteht aus klassischen Comicbildern und Hintergründen, die ausschließlich mit dem Pinsel gezeichnet wurden, um so die wilde, raue Lebensstimmung der Zeit einzufangen. Diese Hintergründe sind zuerst entstanden und erzählen den groben Verlauf der Geschichte. Die kleineren Bilder, die sich optisch unterscheiden, erzählen detaillierter. Sie sind neben den aufwändigen Hintergründen entstanden, da die Geschichte schnell und flüssig erzählt werden musste.

Ferner erklärt der Autor, dass ihm darauf die Idee kam, die realistischeren Zeichnungen als Hintergrund für die karikaturhaften Bildchen zu nutzen, um so immer an die Gesamtstimmung zu erinnern. Das ist ihm ohne Zweifel gelungen. Der Comic kommt ganz ohne weiße Ränder aus. Die realistischen Hintergründe stehen im Kontrast zu den feineren Einzelbildern und passen dabei trotzdem in der Gesamterzählung mit ihnen zusammen. Erwähnenswert ist auch, dass dies ohne digitale Hilfe geschehen ist, sondern mit Schere und Kleber. Auch die Platzierung der Bilder ist gut durchdacht. Es entsteht ein Zusammenspiel von Hintergrund und Vordergrundbild. Die Hintergründe sind nicht nur Kulisse, sondern fügen sich in die Erzählung ein und übernehmen Teile der Handlung.

Bengen erklärt, dass er keinen durchgehenden Comicroman machen wollte, sondern ein Skizzenbuch. Historisch nachweisliche Begebenheiten wurden zeitlich geordnet und teilweise mit Mythen um den bekannten Piraten in Verbindung gebracht. Dazuerfunden wurde sehr wenig. Vielleicht ist genau das der Grund, warum die Story in keinster Weise einen Sog ausübt, der den Leser voll Begeisterung in die Geschichte abtauchen lässt. Stattdessen besteht sie aus historischen Fakten, die nicht in einem Geschichtsbuch, sondern im Medium Comic festgehalten werden. Andere Comics wie „Asterix“ nutzen geschichtliche Daten nur als Angelpunkte und erzählen dabei ihre eigenen Geschichten. Es steht außer Frage, dass nicht jeder Comic auf diese Weise ablaufen muss, aber wenn man das Buch ohne jegliche Bereicherung beendet, dann kann nicht behauptet werden, dass diese Form des Comicerzählens geglückt ist.

Die Geschichte kommt nie in Schwung, weil Ort und Zeit ständig wechseln, zum Teil nach jeder Doppelseite. Dadurch hat der Leser auch nicht die Möglichkeit, sich in die einzelnen Situationen einzufühlen. Sie sind einfach zu kurz beschrieben. Auch Actionszenen, in denen man Blut spritzen sieht, machen die Geschichte nicht spannender. Da man sich an historische Begebenheiten gehalten hat, werden nur Ereignisse erzählt. Über die Figuren dagegen erfährt man wenig. Somit bleiben sie oberflächlich. Das Persönlichste, das man über die Figuren erfährt, ist das kameradschaftliche Verhalten an Bord, das an wenigen Stellen hervortritt. Die Dialoge enthalten oft zu lange Texte, die mit historischen Informationen gespickt sind. Sie werden niemals in irgendeiner Weise lustig und beinhalten auch keine Gespräche, die nur zur Auflockerung dienen.

Es hätte der Geschichte nicht geschadet, wenn Fakten mit Fiktion verbunden worden wären. Dadurch wäre ein flotterer Erzählfluss und ein tieferer Einblick in die Figuren möglich gewesen. Somit hätte man auch Leser für Störtebeker begeistern können, die mit dem Thema noch nicht vertraut sind. Doch das vorliegende Ergebnis bleibt ein Comic für Störtebeker-Hardcore-Fans. Und selbst diese sollten sich auch für die künstlerische Seite des Comics interessieren, denn ansonsten wäre ihnen mit einem Geschichtsbuch mehr geholfen.

 

Harm Bengen: Störtebeker: De leeven Gods Fründ/ un aller Welts Feind

Achterbahn Verlag 2010

79 Seiten, 12,00 Euro

ISBN 978-3899823097

 

Hoch

 

 

Vielleicht auch ein Krimi

Fred Vargas' Comic-Krimi "Im Zeichen des Widders" ist ein Krimi, der in bester Tradition des Genres weit über sich hinausweist

Von Jan Fischer

 

Beginnen wir bei Edgar Allan Poe. Das ist ein großer Bogen, aber es kommt hin: Schließlich ist Poes Auguste Daupin einer der ersten Detektive, die heutzutage ja in Horden in den kleinen Drecksgassen von Paris ermitteln, und Poes  „Der Doppelmord in der Rue Morgue“ ist wegweisend für das Genre des Kriminalromans. Natürlich ist er ein ganz anderer Typ als Fred Vargas' Ermittler Jean-Baptiste Adamsberg, sogar so anders, dass er schon das genaue Gegenteil ist, aber wenn man in die Reihe noch eine dritten Ermittler, nämlich George Simenons Pariser Inspektor, den ewig übellaunigen Jules Maigret einfügt, dann hat man ein ganz gutes Panorama der Entwicklung des Pariser Ermittlers gezeichnet: Dupin verlässt sich – wie später seine britischen Kollegen – allein auf seine Deduktionskraft, mit der er außergewöhnliche Ereignisse entmystifiziert. Maigret steht auf einer Kippstelle des Detektivromans: Es geht ihm nicht darum, mit der Kraft der Deduktion den Täter zu finden, er will den Menschen hinter der Tat verstehen, Maigret ist, könnte man sagen, der erste der modernen Profiler: Seine Waffe ist nicht der Verstand, es ist die Psychologie. Adamsberg dagegen ist schon komplett gekippt: Seine Ermittlungen beruhen komplett auf Intuition,  er kombiniert nicht, er fühlt.  Man könnte an diesen drei  Ermittlern  tatsächlich auch, wenn man wollte, eine Bewegung ihrer Ermittlungsmethoden immer tiefer ins Unterbewusstsein festmachen, wobei Vargas' Adamsberg am tiefsten eingetaucht ist. 

So unterschiedlich tief diese Ermittler aber auch in ihrem Unterbewusstsein stecken, sie haben doch eine Sache gemeinsam: Alle drei stecken eigentlich nicht in Kriminalromanen. Poes Dupin ist eigentlich nur eine Feier der Kraft des reinen Verstandes, gut die Hälfte jeder Dupin-Geschichte ist angefüllt mit hochvergeistigten Monologen  über Gott und die Welt, die das Verbrechen oder die Aufklärung des Verbrechens zwar zum Ausgangspunkt haben, dann aber ins  Essayartige wegdriften. In den Maigret-Geschichten geht es auch selten ausschließlich um den Kriminalfall, es ist vielmehr eine Studie in Figurenpsychologie, eine Erkundung von menschlichen Abgründen, die sich auftun, sobald Maigret beginnt, hinter das Verbrechen zu schauen. Bei Fred Vargas wiederum ist das Verbrechen immer nur ein Ausgangspunkt für ein literarisches Motivspiel, ein langsames, allmähliches Zusammensetzen von Puzzleteilen, die nirgends einen Sinn ergeben außer im Kopf von Adamsberg. Dass der Ausgangspunkt  dieses Motivspiels ein Verbrechen ist, ist dabei kaum mehr als reiner Zufall: Eigentlich ist „Im Zeichen des Widders“, wie auch die meisten anderen Vargas-Romane, nur ein Transport von literarischen Arbeitsweisen ins Kriminalgenre, oder, wenn man so will, umgekehrt: Der Fall jedenfalls lässt sich nur noch mit den Mitteln der literarischen Textinterpretation  aufklären.

Da ist ein langer Vorspann, aber „Im Zeichen des Widders“ hat ihn verdient:  Es beginnt damit, dass zwei Freunde den Falschen ausrauben, am nächsten Morgen ist einer der beiden tot und gezeichnet mit dem Mal des Widders, eines Massenmörders, der schon jahrelang sein Unwesen treibt.  In dem geraubten Rucksack finden sich neben Geld auch Knochen, Zähne und ein Zauberbuch. Der andere der beiden Freunde nimmt den Rucksack an sich und versteckt in bei sich zuhause, wo er mit seinen drei  Brüdern und seinem Vater in prekären Verhältnissen wohnt. Und während der Vater von nichts eine Ahnung hat und einen römischen Renaissancebrunnen aus Bierdosen nachbaut, wird Adamsberg auf den Fall aufmerksam, und löst ihn auf seine unnachahmliche Weise.

Bliebt noch zu erwähnen, dass „Im Zeichen des Widders“ kein Roman ist – es ist ein Comic, der nur als Comic existiert: Es ist keine Comic-Umsetzung eines Romans. Die Zeichnungen sind von Edmond Baudoin, und eine bessere Wahl hätte es wohl kaum geben können: Zwar sind die Zeichnungen durchaus detailliert, trotzdem aber haben die Menschen in der Geschichte kaum klar erkennbare Züge: Das Motivverwirrspiel, dass Vargas mit dem Text betreibt, setzt Baudoin auf der Bildebene fort, und insofern ist diese Zusammenarbeit die perfekte Symbiose: Die literarische Tradition der Pariser Ermittler, die Vargas auf ihre unnachahmliche Weise fortsetzt, transportiert  Baudoin n die Zeichnungen, und das böseste, was man über „Im Zeichen des Widders“ sagen könnte ist: Es ist rund.

 

Fred Vargas: Das Zeichen des Widders

Mit Zeichnungen von Edmond Baudoin

Aus dem Französischen von Julia Schoch

Aufbau Verlag 2010

224 Seiten, 14,95 Euro

ISBN 978-3746625966

 

Hoch

 

 

Nur ein Mädchen und der Blues

Kiriko Nananans „blue“ ist ein todtrauriger  Josei-Manga aus der Hand einer Meisterin

Von Jan Fischer

 

Zwei Mädchen im letzten Jahr der Oberschule wissen nicht genau, ob sie ineinander verliebt sind, küssen sich aber trotzdem.  Simpler könnte eine Geschichte nicht sein. Das Katastrophenpotential andererseits tendiert gegen unendlich.

Die Geschichte ist ein typsischer Josei-Manga, und um das zu erklären, muss man erstmal ein wenig an der Oberfläche des japanischen Mangas einsteigen:Der kennt eine riesige Anzahl unterschiedlicher Ausdifferenzierungen: Der Josei-Manga beispielsweise entwickelte sich aus dem  Shōjo-Manga, was letzendlich nichts bedeutet als: Für Mädchen. Sailormoon wäre eine Beispiel dafür, diese ganze Palettete Mangas mit den Kindfrauen, die große Augen haben, in knappen Schuluniformen herumlaufen und ihre Geschichten vor einer Parade idealisierter Männergestalten erleben, wobei schon im Shōjo lesbische Beziehungen ganz gerne mal thematisiert werden. Der Josei wiederum ist die erwachsene Variante des Shōjo: Meist von von jungen Frauen gezeichnet und getextet, die die Handlungsmöglichkeiten, nicht das Aussehen, des  Shōjo nutzen, um persönliche Geschichten zu erzählen, etwa vegleichbar mit der Fräuleinwunder-Bewegung in der deutschen Literatur Ende der 90er mit ihrer Speerspitze Judith Hermann. Die Speerspitze des Josei nun ist Kiriko Nananan, und sie ist soweit entfernt von bunten, großäugigen Mädchen und Schuluniform-Voyeurismus wie es nur geht: „blue“ ist eine Abfolge schwarzweißer Zeichnungen, wie es einfacher nicht geht: Ein paar Linien, kein Schatten, kaum Hintergrund, vielleicht mal ein paar Texturen auf Kleidungsstücken, aber das ist die Ausnahme.  Und es gibt kaum Text.

Das sind dann die Grundlagen, auf denen Nananan die Beziehung der beiden Mädchen auseinandernimmt, behutsam, Stück für Stück, als wäre die Beziehung so zart, dass sie allein durchs Zuschauen zerbrechen könnte, als würde weitere Ausformulierung, selbst die der Erzählerin, alles kaputt machen. Die Brüchigkeit der Zeichnungen, des Textes, der Beziehung der Mädchen, die notwendige Neuorientierung, die beide vornehmen müssen, weil alles sich auflöst: Es ist das letzte Jahr in der Schule. Beide hätten nie gedacht, dass sie sich einmal zu einer Frau hingezogen fühlen würden. Letzendlich muss das alles natürlich zur Katastrophe führen, die dann auch passiert: Eines der Mädchen  zieht fort, verbaschiedet sich für immer, und die andere bleibt da, ganz allein, vergessen, und traurig.

 

Kiriko Nananan:

„Blue“

Schreiber & Leser 2007

228 S., Euro 14,95

ISBN 978-3937102429

 

Hoch

 

 

Jede Zuschreibung eine Enttäuschung

Martin Büsser legt eine Graphic Novel vor, die von der Macht der Etiketten handelt

Von Jan Fischer

 

Es sind nur Worte, die ihm angeheftet werden, aber das reicht ja: Poptheoretiker. Ein Poplinker, sogar, noch weiter: Einer der letzten seiner Art. Das ist bitter, weil Martin Büsser einer ist, der gegen solche Art Schubladenzuschreibungen kämpft, vielleicht hat er nicht unbedingt was dagegen, als Poplinker bezeichnet zu werden, aber diese ganzen anderen Sachen, dagegen geht er an, unermüdlich, die ganze Zeit: Hat die Punkszene vor den Kopf gestoßen, indem er ihren engstirnigen Geschmack kritisiert hat. Verwischt Geschlechtergrenzen. Hinterfragt die Trennung von Populärkultur und Hochkultur, und hat da so seine ganz eigenen Ideen.

„Der Junge von Nebenan“, Büssers Interpretation einer Graphic Novel, ist auch ein Buch, in dem es um Zuschreibungen geht, grob gesagt, handelt es von einem Jungen, der seine schwule Identität entdeckt und versucht auszuleben, während seine Eltern, RAF-Topterroristen, mit der Politik und dem Untertauchen beschäftigt sind.

Wer ist der Spitzel? Wer ist schwul und wer nicht? Wer ist der Vater, wer die Mutter? Solche Fragen tauchen immer mal wieder am Rande der Handlung auf, werden eine Weile im Ungewissen gelassen, breiten sich aus und münden dann in eine Zuschreibung, die immer enttäuschend ist: Nicht der merkwürdige Typ, der immer zwischen den Hochhäusern rumhängt, ist der Spitzel, der möchte nur kleine Jungen aufreißen. Die Jungen, auf die der Erzähler sich Hoffnung macht, sind meistens nicht schwul. Je älter der Erzähler wird, desto enger wird die Welt, desto mehr Dinge bekommen Etiketten angeheftet, nur am Anfang, da ist alles Potential: „Mutter, Mutter, Mutter, ich werde mich schon formen. Dir schöner Knabe werden.“ ist einer der ersten Sätze des Buches.

Von da aus geht es bergab: Natürlich, der Teig wird Mensch, bekommt eine Identität, salopp gesagt: Lebt sein Leben. Und das wird immer enger: Am Ende lebt der Erzähler als schwuler, junger Punk in Berlin, aber: „die, die auf Johnny Rotten stehen, sind nicht schwul, und die, die Marianne Rosenberg mögen, will ich nicht.“

Die Geschichte endet mit einem erwachsenen Erzähler, der in irgendeinem nicht näher definierten Berlin sitzt, und sich Geschlechterdiskursen schlicht verweigert, der selbst das für zu eng, für eine Welt mit zu vielen Zuschreibungen hält. Und dann – zumindest für seine Erzählung, für dieses spezielle Coming of age – doch eine Lösung findet: „alles ist extra einfach gehalten, damit es jederzeit überzeichnet werden kann. […] Es ausblenden und „her story“ daraus machen.“

Er – Büsser oder der Erzähler ist hier ausnahmsweise mal egal – hat Recht: Alles ist einfach gehalten, simple, fragile Dünnfilzstiftzeichnungen, handgeschriebener Text: Es wirkt fast dahingekleckst. Die Geschichten des Jungen, die Geschichten, wie er seine schwule Identität entdeckt, über sich und seine Jugend nachdenkt, passen perfekt dazu: Beiläufige Kindheitspoesie. Nur die Politik ist  fehl am Platz.

Man dürfte das eigentlich nicht sagen, vor allem nicht  in einer Zeit, in der Befindlichkeitsprosa verpönt ist und der Trend wieder zur politischen Erzählung geht, man dürfte es nicht sagen, weil man einem Autoren, der sich immer Gedanken über den Pop als Politikum gemacht hat, seine ureigenste Poetik nicht vorwerfen kann. Trotzdem: Reicht nicht ein simples, kristallines Coming of age mit abwesenden Eltern? Müssen die dann auch gleich noch RAF-Terroristen sein?  Reicht es nicht, wenn die Zuschreibungen, mit denen der Erzähler zu kämpfen hat, nur gezeigt werden? Müssen sie auch noch reflektiert werden? So gut, dass Erwachsenwerden zu den Zeichnungen, zum Duktus passt, so holzhammerartig ist die Politik eingefügt, ein Fremdkörper im Plot, der sich nicht organisch erklärt, sondern draufgesetzt ist, weil das halt auch noch sein muss? Weil das zeigt, wie der Autor tickt, wie es ihm nichts anderes als angeheftet ist?

 

Martin Büsser:

„Der Junge von nebenan“

Verbrecher Verlag 2009

100 S., Euro 14,00

ISBN 978-3-940426406

 

Der Rezensent ist Kulturjournalist. Zum Thema ist von ihm das Essay „Comic plus X. Anmerkungen zu den Umrissen der Graphic Novel“ (ISBN 978-3-938531-29-7) erschienen.

 

Hoch

 

 

Selbstzerstörung, lustig

Der Mangazeichner Hideo Azuma wirft einen autobiographischen Blick auf seine Arbeit, die ihn fast zerstört hätte

Von Jan Fischer

 

Hideo Azuma steigt aus. Nicht einfach nur ein bisschen, nicht nur halbherzig, nein, Azuma gibt seine Wohnung auf, kampiert mitten im Winter bei Regen und Schnee im Park unter einer Plastikplane, sammelt Zigarettenkippen vom Boden auf und gibt das wenige Geld, das er auf der Straße findet für Sake aus. So beginnt die autobiographische Geschichte des Mangazeichners Hideo Azuma, und die Gründe dafür werden erst nach und nach klar: Azuma ist dem Produktionsdruck nicht mehr gewachsen, schafft es nicht mehr, alle Zeichnungen, die er abzuliefern hat abzuliefern, beginnt zu trinken um schlafen zu können, wird immer mehr zum Alkohol- und Drogenwrack, bis er beschließt: Es ist genug. Unter diesen Bedingungen kann und will er nicht mehr arbeiten. Aber damit ist natürlich nicht alles gut: Auch, wenn das Aussteigerleben zunächst – vergleichsweise – entspannend ist, macht es nichts besser. Alkoholiker ist Azuma immer noch, und als er aus lauter Langeweile beginnt, bei einem Bauunternehmen zu arbeiten, ist sie wieder da, die Schinderei. Die Geschichte endet in einer Entzugsklinik, wo Azuma versucht, sich wieder in Ordnung zu bringen.

Azuma befasst sich in seinem autobiographischen Comic mit der dunklen Seite der Mangaindustrie: Millionen Seiten der japanischen Comics werden Tag für Tag gezeichnet, aus erfolgreichen Zeichnern wird dabei gnadenlos Comicseite um Comicseite herausgemolken. Azuma weiß, wovon er zeichnet: Seit 70er Jahren bis zu seinem Leben als Aussteiger war er selbst ein Teil dieser Industrie, hauptsächlich gefragt wegen seiner leichtekleideten Frauenfiguren, nicht so sehr seiner erzählerischen Ambitionen wegen.

„Der Ausreißer“ ist ein Comic, der nicht nur die die menschlichen Tiefen eines einzelnen Mangazeichners zeigt, sondern das Bild einer Kunstform zeichnet, die ungeschützt einem gnadenlosen kommerziellen Druck ausgeliefert ist.

Dabei klagt Azuma nicht an: Er weiß, dass er gegen das System nicht ankommen kann, und letztendlich hat er sich seine Arbeit ja auch ausgesucht. Selbst in seinem Ausstieg, als Bauarbeiter, nimmt er noch einmal an einem Mangezeichenwettbwerb teil, den er auch prompt gewinnt. Azuma klagt nicht an, er zeichnet nur auf, und übernimmt die volle Verantwortung für alles, was ihm passiert. Er erzählt seine Geschichte in unaufgeregten Bildern, mit verniedlichten, rundköpfigen Figuren. Was da passiert, ist nie tragisch, Azuma wälzt sich nicht in Selbstmitleid, sondern erweist sich als einer, der die komischen Momente seines Aussteigerdaseins hervorkehrt. Und er hat Recht damit: Zuviel Realismus, und die Geschichte verkäme zu einem einzigen Wust aus Alkoholikerselbstmitleid. Mit „Der Ausreißer“ stellt sich Azuma würdig in die Tradition großer Mangaautobiographien wie Nakazawas „Barfuß durch Hiroshima“, aber wo Nakazawa die Tragik hervorkehrt, versteckt Azuma sie hinter seinem Witz. Ernst zu nehmen ist er trotzdem.

 

Hideo Azuma:

„Der Ausreißer“

Schreiber & Leser 2009

192 S., Euro 14,95

ISBN 978-3-937102-70-2

 

Hoch

 

 

Der dunkle Punkt des Unfalls

Jiro Taniguchis „Bis in den Himmel“ ist ein Autorenmanga. Zum Glück.

Von Jan Fischer

 

Es geht alles sehr schnell. Dann sehr langsam. Erst der Unfall: Ein paar Bilder ohne Worte, über die das Auge förmlich fliegt.  Dann die Probleme: Der junge Motoradfahrer Takuya und der alte Angestellte Kubota werden ins Krankenhaus gebracht, der ältere der beiden stirbt, der jüngere erwacht aus dem Koma. Problematisch nur, dass der Geist des älteren im Körper des jüngeren steckt. Noch problematischer, dass der Geist des jüngeren auch noch mit drinsteckt.

Solche mysteriösen Verjüngungen sind vertrautes Terrain für Jiro Taniguchi: In dem in Deutschland 2007 erschienenen Band „Vertraute Fremde“ macht ein Mann nur einen kurzen Umweg über seinen Heimatort, und ist plötzlich 30 Jahre jünger. Aber wenigstens ist er noch er selbst. In „Bis in den Himmel“ stecken zwei unterschiedliche Menschen in einem Körper, und es ist schnell klar: Obwohl sich zwischen Takuya und Kubota eine seltsame Art der Freundschaft entwickelt, ist offenkundig: Einer muss gehen. Kubota sieht ein, dass er tot sein müsste, und nachdem er sich von einer Frau und seinen Kindern verabschiedet hat, ist er es, der geht.

Taniguchi erzählt langsam, ganz behutsam tastet er sich durch die Innenwelten seiner Protagonisten, nicht, als erlebten sie gerade eine mysteriöse Körpertauschgeschichte, eher so, als wäre seine Geschichte ein Autorenfilm. Dass zwei Geister irgendwie in einen Körper gezaubert wurden? Ist halt so. Damit hält er sich nicht weiter auf. Interessanter ist, wie die Witwe des Verstorbenen mit der Trauer klarkommt. Wie Takuyas Freundin und seine Eltern damit umgehen, dass im Körper ihres Sohnes und Freundes ein Vierzigjähriger zur Untermiete wohnt. Oder was genau eigentlich den Unfall verursacht hat. Denn eigentlich ist es das, worum die Protagonisten in „Bis in den Himmel“ die ganze Zeit rotieren: Den dunklen Punkt des Unfalls. Was ist passiert? Warum? Erst, als das geklärt sich, kann Kubota sich verabschieden.

Taniguchi hat sich einen seltsamen stilistischen Hybriden gezüchtet: Seine Handlung, Bildführung und sein Personal hat er aus dem Manga, trotzdem stehen seinen präzisen, schattenlosen Linienwelten klar erkennbar in der belgofranzösischen Comictradion. Die Hintergründe sind gleichzeitig präzise und scheinen ständig im Nebel zu verschwinden, die Figuren, die er davor setzt, sind mit starkem Stift gezeichnet und stechen hervor, als wären sie das einzig Reale, das einzige, was sich nicht ständig verflüchtigt.

Taniguchi ist einer der Mangaautoren, derjenigen Zeichner, die sich eine Namensnennung auf den Umschlägen ihrer Alben erkämpft haben und die sich in anderen, ernsteren Welten bewegen als Manga-Fastfood à la Dragon Ball, noch mehr: er ist einer der Mangaautoren, deren Alben zumindest teilweise auch in Europa, vor allem in Deutschland zu bekommen und einigermaßen erfolgreich sind und dank seiner europäischen Teile das Mangabild, das hierzulande immer noch herrscht – bunt, action, dumm – langsam, Stück für Stück umkrempeln.

 

Jiro Taniguchi:

"Bis in den Himmel"

Schreiber und Leser 2009

302 S., Euro 16,95

ISBN 978-3941239104

 

Der Rezensent ist Kulturjournalist. Zum Thema ist von ihm das Essay "Als ich noch jung war, gab es nur 150 Pokémon. Manga und Anime, Jugendliche und Kinder. Ein kurzer Überblick von innen" erschienen. (ISBN 978-3-938531-60-0)

 

Hoch

 

     
 

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